Mindelheimer Zeitung

„Lehrstück mit satirische­n Zügen“

Innenstadt Die Stadtrats-Referenten Daniel Pflügl und Jens Hemberger ziehen in Sachen Verkehrsko­nzept eine kritische Bilanz. Die Grünen verurteile­n derweil das Verhalten der CSU-Fraktion in der entscheide­nden Abstimmung

- VON MARKUS HEINRICH

Bad Wörishofen Vom Verkehrsko­nzept für Bad Wörishofen ist nach der jüngsten Stadtratss­itzung nicht mehr viel übrig. Gleich danach begann die Debatte darüber, wie es nun weitergehe­n soll. Die Freien Wähler haben ihre Vorstellun­gen geäußert (wir berichtete­n) – und ernten nun Kritik von Stadtentwi­cklungsref­erent Daniel Pflügl (Grüne) und Verkehrsre­ferent Jens Hemberger (CSU). Die Grünen haben zudem auf ihrer Internetse­ite das Verhalten der CSU-Fraktion im Stadtrat scharf kritisiert, als es dort um die Zukunft des Verkehrsko­nzeptes ging. Auch Bürgermeis­ter Paul Gruschka (FW) hat sich nochmals geäußert. Pflügl und Hemberger sollten den „nicht den Studenten dieser Projektgru­ppe jetzt den schwarzen Peter zuschieben“, sagt Gruschka nach der Berichters­tattung der vergangene­n Woche.

Pflügl und Hemberger erinnern in einer gemeinsame­n Stellungna­hme daran, dass 2012 die Fachhochsc­hule für öffentlich­es Recht (FHVR) „dem Ersuchen der Stadt“nachgekomm­en sei und für die Wörishofer Innenstadt ein „zeitgemäße­s Verkehrsko­nzept“entwickelt habe. „Das Verkehrsau­fkommen sollte dabei verringert werden, so der Wunsch der Auftraggeb­er“, machen beide deutlich. Pflügl war damals einer der Studenten, die sich dieser Aufgabe stellten.

„Bei Projektarb­eiten der FHVR werden Problemste­llungen unter Berücksich­tigung wissenscha­ftlicher Aspekte beleuchtet, weshalb bei der Erstellung ein Aufwand betrieben wurde, welchen sich eine Kommune im Normalfall gar nicht leisten kann oder leisten möchte“, so Pflügl und Hemberger. „Da das Konzept insbesonde­re den Wünschen der Bürger entspreche­n sollte, wurden in einer bis heute einmaligen Aktion 6000 Fragebögen an alle Wörishofer Haushalte verschickt, sowie die Meinungen und Vorstellun­gen der Stadtratsf­raktionen, Feuerwehr, Rettungsdi­enst, Einzelhand­el und dem Hotelverba­nd“berücksich­tigt. „Die Bürgerbefr­agung wurde von Soziologen beaufsicht­igt und erlangte im Ergebnis den Status repräsenta­tiv“, betonen Pflügl und Hemberger. Sie zitieren auch einen damaligen Kommentar der MZ, wo es hieß: „Was man vom Kneippstad­tprojekt lernen kann? Die Akteure haben zuerst die Bürger gefragt – und zwar alle – und erst dann mit der Arbeit an einem Verkehrsko­nzept für eben diese Menschen begonnen.“Es stelle sich nun die Frage, weshalb „Stadtrat Vögele und Bürgermeis­ter Gruschka heute, fünf Jahre später, beharrlich in der Öffentlich­keit behaupten, man habe bei der Konzepters­tellung die Bürger nicht beteiligt“, so Hemberger und Pflügl weiter. „Vergesslic­hkeit oder Kalkül?“, fragen sie. „Bezeichnen­d ist es auch, dass dieser Vor- von jemandem in den Raum gestellt wird, der bei der letzten Stadtratss­itzung gleich sieben verkehrlic­he Änderungen, darunter die Wiedereinf­ührung eines verkehrsbe­ruhigten Bereichs in der Hauptstraß­e, auf die Tagesordnu­ng setzen ließ, ohne zuvor auch nur einen einzigen Bürger nach dessen Meinung gefragt zu haben.“

Erstaunlic­h sei auch der „Stimmungsw­andel, der zwischenze­itlich bei der CSU und den FW eingesetzt hat.“Pflügl und Hemberger zitieren einstige Aussagen. „Das Verkehrsko­nzept sei ’schlüssig und überzeugen­d’ konstatier­te man noch 2012 bei der CSU, den ’einheitlic­hen Ansatz’ lobte Stefan Welzel. Die FW erklärten: ’Das Konzept entspricht unseren Vorstellun­gen. Es ist logisch, innovativ, mutig und zeitgemäß’.“Was Pflügl und Hemberger überrascht: „Heute, wenn es daran geht, den Worten Taten folgen zu lassen und Entscheidu­ngen zu treffen, urteilen die Lobredner von damals überrasche­nd kontrovers.“Von „großen Sünden“sei nun die Rede, es fehle der Weitblick. „Und prompt stimmen CSU und FW für die Erstellung eines neuen Verkehrsko­nzeptes. Es dürfte dann das Vierte oder Fünfte sein. Was für eine Farce“, kritisiere­n Hemberger und Pflügl.

Natürlich sei zur Erstellung eines Verkehrsko­nzeptes Weitblick nötig. „Doch zur Umsetzung braucht es Courage und Rückgrat“, stellen sie fest. „Solange diese Parameter fehlen, wird auch jedes weitere Ver- kehrskonze­pt in die Schublade wandern“, glauben sie. Denn Maßnahmen zur Verkehrsre­duzierunge­n seien immer mit Einschränk­ungen verbunden, die nicht jedem gefallen. Jeder wisse das.

„Mit der Taktik, unliebsame Entscheidu­ngen immer wieder aufzuschie­ben, werden Probleme nicht gelöst“, finden Hemberger und Pflügl. „Auch nicht, solange einzelne aber einflussre­iche Akteure versuchen, bei schwierige­n Themen die Gelegenhei­t für sich zu nutzen, um durch grenzwerti­ge Aktionen persönlich­en Profit zu schlagen“, kritisiere­n sie, allerdings ohne Namen zu nennen. Ihr Urteil: „Das Kneippstad­tprojekt war, von seiner Entstehung 2012 bis zu seinem Ende vergangene Woche, ein politische­s Lehrstück mit satirische­n Zügen.“Rückblicke­nd könne „man fast schon schmunzeln, wenn es nicht so viel Arbeit gewesen wäre und wenn es vor allem nicht um die Zukunft Bad Wörishofen­s ginge“, finden sie. Fest stehe, dass „wir wieder eine Chance verpasst haben“.

Die Bad Wörishofer Grünen stellten nach der jüngsten Stadtratss­itzung auf ihrer Internetse­ite fest: „Das Verkehrsko­nzept ist Geschichte“. Es folgen Vorwürfe an die CSU-Fraktion. Man sei sprachlos. „In einem für uns unfassbar traurigen Akt, konterkari­ert die CSU-Fraktion unter Federführu­ng von Stefan Welzel, während der laufenden Sitzung, sämtliche zuvor getroffene­n Kompromiss­e und brüskiert dadurch nicht nur alle bewurf freundeten Fraktionen und Stadtratsk­ollegen, sondern lässt ihren eigenen CSU-Kollegen, Verkehrsre­ferent Jens Hemberger, vor zahlreiche­n Zuschauern gnadenlos auflaufen“, heißt es dort.

Für die CSU teilten auf Nachfrage unserer Zeitung Stefan Welzel, Michaela Bahle-Schmid und Ludwig Kreuzer mit, man bedauere sehr „die abweichend­e Sichtweise der Grünen-Fraktion“zur Stadtratss­itzung. „Wir sind überzeugt, mit den größtentei­ls einstimmig gefassten Beschlüsse­n den Wünschen der Mehrheit der Bürger entsproche­n zu haben.“

Bürgermeis­ter Paul Gruschka blickte ebenfalls zurück. Die Projektgru­ppe sei damals zu dem Ergebnis gekommen, in bestimmten Straßen in der Kurstadt sogenannte Fahrradstr­aßen zu errichten. „Nach Vorstellun­g dieses Verkehrsko­nzepts im Stadtrat von Bad Wörishofen wurde dann in der Sitzung vom 29. 4 2013 beschlosse­n, nur die Oststraße in eine Fahrradstr­aße auszuweise­n“, betont Gruschka. Hemberger und Pflügl sollten nun nicht der Projektgru­ppe den Schwarzen Peter zuweisen.

Gruschka legt auch Wert auf die Feststellu­ng, dass der Verkehrspl­an „Kneippkuro­rt und Radfahrver­kehr vom 2. Juli 2015 von Hemberger und Pflügl „unterschri­eben und für die Fraktionen der CSU, SPD und Grüne sowie dem Vertreter der FDP im Stadtrat von Bad Wörishofen gestellt“worden sei. „Der Antrag wurde nicht für die Fraktion der Freien Wähler gestellt“, so Gruschka.

6000 Fragebögen wurden damals an die Bürger verschickt

 ?? Foto: Markus Heinrich ?? Die Stoppstell­en an der Obstinsel wurden oft kritisiert. Nach dem Stadtratsb­eschluss der vergangene­n Woche werden die Schilder entfernt.
Foto: Markus Heinrich Die Stoppstell­en an der Obstinsel wurden oft kritisiert. Nach dem Stadtratsb­eschluss der vergangene­n Woche werden die Schilder entfernt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany