Das Gift lauerte im Briefkasten
Krustenanemone Ein Mann aus Affing bestellt sich im Internet eine Korallenart für das eigene Aquarium. Dass diese giftig ist, ist ihm klar. Nicht aber, wie sich die Sache dann entwickelt
Augsburg Es klingt dramatisch: Ein Mann aus Affing (Kreis AichachFriedberg) bestellt sich im Internet eine grüne Krustenanemone – eine bei Aquariern äußert beliebte Korallenart. Als der 31-Jährige das Päckchen öffnet, schlägt ihm ein übler Geruch entgegen. Das Tier hat die sommerliche Hitze und den Transport offenbar nicht überlebt. Erst kratzt den Mann der Hals, nachts bekommt er schlecht Luft, Schüttelfrost, Übelkeit. Zum Hintergrund: Bestimmte Arten der Krustenanemonen zählen zu den giftigsten Tieren der Welt. Sie tragen Palytoxin in sich, eines der stärksten natürlichen Gifte überhaupt.
Dem Affinger war das bewusst, als er die farbenfrohe Anemone bestellte, die in Fachkreisen trotz ihrer Giftigkeit als Anfänger-Koralle gilt. Sie ist für jedermann legal erhältlich, leicht zu pflegen, vermehrt sich schnell und gerne und ist in der Regel ungefährlich – wenn man denn vorsichtig mit ihr umgeht. „Man sollte sie nicht mit bloßen Händen anfassen und ihnen mit dem Gesicht nicht zu nahe kommen“, erklärt Frank Müller, Kurator des Aquariums im Münchner Tierpark Hella- brunn. Wenn ein Mensch einer besonders hohen Konzentration Palytoxin ausgesetzt wird, könne das durchaus gefährlich werden.
Müller hat seit Jahrzehnten immer wieder mit den Salzwassergeschöpfen zu tun und ihm selbst sei noch nie etwas passiert. Manche Kollegen würden jedoch hin und wieder über Juckreiz oder Taubheitsgefühle an Fingern, Händen oder Armen klagen, wenn sie mit den Anemonen in Berührung gekommen sind. „Die Tiere sind unterschiedlich giftig und die Menschen unterschiedlich empfindlich“, sagt Müller. Schüttelfrost, Übelkeit oder auch Atemprobleme seien ebenfalls bekannte Symptome. Von lebensgefährlichen Verletzungen, die durch Krustenanemonen hervorgerufen wurden, habe er aber noch nie gehört.
Doch genau nach solchen sah es in der Nacht zum Mittwoch in Affing aus. Zumindest, wenn man nach dem Aufgebot an Blaulicht-Fahrzeugen und Rettungskräften geht, die zur Wohnung des 31-Jährigen geschickt wurden, nachdem sich dessen Frau in der Giftnotruf-Zentrale in München nach der besten Behandlung nach dem Kontakt mit einer grünen Krustenanemone er- kundigt hatte. Selbst ins Krankenhaus zu fahren, was möglich gewesen sei, sei ihnen unter Androhung von Zwangsmaßnahmen verboten worden, erzählt die Ehefrau. So sei schließlich die komplette Affinger Feuerwehr in Erwartung eines Giftgasunfalls angerückt, dazu kamen wieder besser gegangen. „Wie ich jetzt erfahren habe, empfehlen einem erfahrene Ärzte in so einem Fall, sich in der Apotheke ein Grippe-Medikament geben zu lassen.“Nur bei ihnen sei gleich ein ganzes Blaulicht-Kommando angerollt: „Wir müssen jetzt den Spott aushalten“, ärgert sich die Frau, die ihren Namen deswegen auch nicht in der Zeitung lesen will. Wenigstens habe sich mittlerweile eine Ärztin des Münchner Giftnotrufs bei ihr entschuldigt. Auch sie habe nicht nachvollziehen können, warum der Vorfall von ärztlicher Seite aus als so dramatisch eingestuft worden war.
Um die Krustenanemone nun nicht gänzlich in die Ecke der gefährlichsten Tiere der Welt zu stellen, weist der Münchner Aquariums-Experte Frank Müller auf eine Besonderheit hin. Wissenschaftler hätten herausgefunden, dass sich das Gift der Anemone resistent gegenüber Krebs und Aids verhalten würde. Forscher in Marseille wollen nun herausfinden, ob das Gift möglicherweise auch zur Heilung dieser Krankheiten beitragen könne. Die Anemone sei also nicht nur wunderschön, sondern möglicherweise auch in der Medizin hilfreich. Giftig ist sie aber eben auch.