Selbst Kugelschreiber sind verdächtig
Justiz Seit einem Eklat gibt es am Kaufbeurer Amtsgericht extrem strenge Sicherheitsvorkehrungen bei Reichsbürger-Prozessen. Ohne zweimalige Leibesvisitation kommt niemand rein und das ist längst nicht alles
Kaufbeuren Wieder einmal steht ein sogenannter Reichsbürger-Prozess vor dem Kaufbeurer Amtsgericht an. Mittlerweile geht das nicht mehr ohne massive Sicherheitskontrollen, wie sie an einem Amtsgericht nur selten zu finden sind.
Grund hierfür ist die Sorge, dass erneut ein Verfahren aus dem Ruder laufen könnte. So wie Anfang 2016. Da hatte eine wegen Fahrens ohne Führerschein angeklagte Frau eine Akte vom Richtertisch gestohlen und sie einem Sympathisanten im Zuschauerraum zugeworfen. Es war zu einer tumultartigen Szene gekommen. Dieses ganze Spektakel wurde aufgezeichnet und – für jeden sichtbar – ins Netz gestellt. Seitdem gelten für Reichsbürger-Prozesse vor dem Kaufbeurer Amtsgericht extrem strenge Einlasskontrollen. Die 51-jährige Frau wird von der Justiz der skurrilen Reichsbürger– Bewegung zugerechnet, sie distanzierte sich davon aber in einem erneuten Gerichtsverfahren Ende März dieses Jahres.
Diesmal geht es um einen 39-Jährigen, der sich wegen Diebstahls in Tateinheit mit Verwahrungsbruch und versuchter Strafvereitelung verantworten muss. Die Staatsanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass der Mann bei jener tumultartigen Auseinandersetzung an besagte Gerichtsakte kam und somit einen Diebstahl beging. Der Prozess gegen den mutmaßlichen Aktendieb wurde zwischenzeitlich verschoben. Nachermittlungen sind notwendig geworden, über Details schweigt sich das Gericht aus.
Die Akte ist seit dem Zwischenfall damals verschwunden. Wenn es zu der Verhandlung gegen den 39-Jährigen kommt, gebe es eine Unterstützung durch die Polizei „im Rahmen der Amtshilfe“, sagt Gerichtssprecherin Claudia Kögel. Denn: „Wir werden alles machen, dass es so etwas nicht mehr gibt“, sagt sie. Und meint damit den Diebstahl der Justizakte, die in einem anderen Verfahren der Richter als „grobe Missachtung der Justiz“bezeichnet hatte. Diese Missachtung basiert auf dem skurrilen Weltbild der Reichsbürger, die den Staat nicht anerkennen – selbst wenn sie von diesem Staat materielle Unterstützung wie selbstverständlich fordern oder auch beziehen – beispielsweise in Form von Hartz IV. Diesen Staat vorzuführen – das ist das Ziel der Szene, die offensichtlich viele Jahre unterschätzt und belächelt wurde. Bis im Oktober 2016 ein Reichsbürger einen Polizisten erschoss und drei schwer verletzte.
Strenge Sicherheitskontrollen bei Gerichtsverfahren seien kein „Spezifikum für Reichsbürgerverfahren“, sagt Gerichtssprecherin Kögel, sondern: „Es gibt sie immer dann, wenn besondere Störungen oder Gefährdungen zu erwarten sind.“Wer einen ReichsbürgerProzess im Gerichtssaal verfolgen will, wird zunächst am Haupteingang durchsucht, dann noch einmal vor der Türe zum Sitzungssaal. Dort gibt es eine – zweite – Leibesvisitation. Handys oder andere Aufzeichnungsgeräte dürfen nicht mit in den Sitzungssaal genommen werden. Selbst Journalisten müssen ihren Kugelschreiber abgeben. Dafür erhalten sie einen neutralen Kuli vom Justizbeamten. „Es gibt Stifte, in denen sind Kameras versteckt“, begründet der Sicherheitsmann. Auch wird genau registriert, wer sich als Zuschauer in den Sitzungssaal begibt: Jeder muss sich ausweisen. Auf Tüten, in denen Handys oder andere Gegenstände vorübergehend verwahrt werden, bringen Justizbeamte Ausweiskopien der Besitzer an. Wie das mit dem Datenschutz vereinbar sei, will ein Mann wissen, dessen Personalausweis gerade kopiert wird. „Am Abend wird das alles weggeworfen“, sagt eine Justizbeamtin.