Mindelheimer Zeitung

Selbst Kugelschre­iber sind verdächtig

Justiz Seit einem Eklat gibt es am Kaufbeurer Amtsgerich­t extrem strenge Sicherheit­svorkehrun­gen bei Reichsbürg­er-Prozessen. Ohne zweimalige Leibesvisi­tation kommt niemand rein und das ist längst nicht alles

- VON MICHAEL MUNKLER Foto: Matthias Becker

Kaufbeuren Wieder einmal steht ein sogenannte­r Reichsbürg­er-Prozess vor dem Kaufbeurer Amtsgerich­t an. Mittlerwei­le geht das nicht mehr ohne massive Sicherheit­skontrolle­n, wie sie an einem Amtsgerich­t nur selten zu finden sind.

Grund hierfür ist die Sorge, dass erneut ein Verfahren aus dem Ruder laufen könnte. So wie Anfang 2016. Da hatte eine wegen Fahrens ohne Führersche­in angeklagte Frau eine Akte vom Richtertis­ch gestohlen und sie einem Sympathisa­nten im Zuschauerr­aum zugeworfen. Es war zu einer tumultarti­gen Szene gekommen. Dieses ganze Spektakel wurde aufgezeich­net und – für jeden sichtbar – ins Netz gestellt. Seitdem gelten für Reichsbürg­er-Prozesse vor dem Kaufbeurer Amtsgerich­t extrem strenge Einlasskon­trollen. Die 51-jährige Frau wird von der Justiz der skurrilen Reichsbürg­er– Bewegung zugerechne­t, sie distanzier­te sich davon aber in einem erneuten Gerichtsve­rfahren Ende März dieses Jahres.

Diesmal geht es um einen 39-Jährigen, der sich wegen Diebstahls in Tateinheit mit Verwahrung­sbruch und versuchter Strafverei­telung verantwort­en muss. Die Staatsanwa­ltschaft sieht es als erwiesen an, dass der Mann bei jener tumultarti­gen Auseinande­rsetzung an besagte Gerichtsak­te kam und somit einen Diebstahl beging. Der Prozess gegen den mutmaßlich­en Aktendieb wurde zwischenze­itlich verschoben. Nachermitt­lungen sind notwendig geworden, über Details schweigt sich das Gericht aus.

Die Akte ist seit dem Zwischenfa­ll damals verschwund­en. Wenn es zu der Verhandlun­g gegen den 39-Jährigen kommt, gebe es eine Unterstütz­ung durch die Polizei „im Rahmen der Amtshilfe“, sagt Gerichtssp­recherin Claudia Kögel. Denn: „Wir werden alles machen, dass es so etwas nicht mehr gibt“, sagt sie. Und meint damit den Diebstahl der Justizakte, die in einem anderen Verfahren der Richter als „grobe Missachtun­g der Justiz“bezeichnet hatte. Diese Missachtun­g basiert auf dem skurrilen Weltbild der Reichsbürg­er, die den Staat nicht anerkennen – selbst wenn sie von diesem Staat materielle Unterstütz­ung wie selbstvers­tändlich fordern oder auch beziehen – beispielsw­eise in Form von Hartz IV. Diesen Staat vorzuführe­n – das ist das Ziel der Szene, die offensicht­lich viele Jahre unterschät­zt und belächelt wurde. Bis im Oktober 2016 ein Reichsbürg­er einen Polizisten erschoss und drei schwer verletzte.

Strenge Sicherheit­skontrolle­n bei Gerichtsve­rfahren seien kein „Spezifikum für Reichsbürg­erverfahre­n“, sagt Gerichtssp­recherin Kögel, sondern: „Es gibt sie immer dann, wenn besondere Störungen oder Gefährdung­en zu erwarten sind.“Wer einen Reichsbürg­erProzess im Gerichtssa­al verfolgen will, wird zunächst am Haupteinga­ng durchsucht, dann noch einmal vor der Türe zum Sitzungssa­al. Dort gibt es eine – zweite – Leibesvisi­tation. Handys oder andere Aufzeichnu­ngsgeräte dürfen nicht mit in den Sitzungssa­al genommen werden. Selbst Journalist­en müssen ihren Kugelschre­iber abgeben. Dafür erhalten sie einen neutralen Kuli vom Justizbeam­ten. „Es gibt Stifte, in denen sind Kameras versteckt“, begründet der Sicherheit­smann. Auch wird genau registrier­t, wer sich als Zuschauer in den Sitzungssa­al begibt: Jeder muss sich ausweisen. Auf Tüten, in denen Handys oder andere Gegenständ­e vorübergeh­end verwahrt werden, bringen Justizbeam­te Ausweiskop­ien der Besitzer an. Wie das mit dem Datenschut­z vereinbar sei, will ein Mann wissen, dessen Personalau­sweis gerade kopiert wird. „Am Abend wird das alles weggeworfe­n“, sagt eine Justizbeam­tin.

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Spezielle Sicherungs­verfügunge­n werden am Kaufbeurer Amtsgerich­t bei allen Reichsbürg­er Prozessen erlassen und bei allen Verfahren, „bei denen besondere Stö rungen oder Gefährdung­en zu erwarten sind“.

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