Dokument der Angst statt des Aufbruchs
Wenn es noch eines Beweises für die innere Zerrissenheit der EU bedurft hätte, dann hat der Kommissionspräsident ihn mit seinem Weißbuch zur Zukunft der Gemeinschaft geliefert. Das ist keine mutige Vision einer Union, die sich trotzig dem Brexit eines gewichtigen Mitglieds entgegenstellt, die den Zweiflern und Kritikern die Erfolge und das Potenzial vorhält. Jean-Claude Junckers Szenarien sind aus Angst vor Streit nur behutsame Andeutungen.
Anstatt Reformen anzumahnen – übrigens auch bei der Institution, für die Juncker selbst steht – und Perspektiven aufzuzeigen, verliert sich dieser Entwurf in Harmlosigkeiten. Bedrohliche Risiken scheinen nur zwischen den Zeilen durch. Ja, der Kommissionspräsident wollte keinem der 27 europäischen Staats- und Regierungschefs wehtun, bemühte sich um das Kunststück, nicht in die Wahlkämpfe wichtiger Mitgliedstaaten einzugreifen und nur ja nicht zu konkret zu werden. Dass er es nicht einmal gewagt hat, seinen Weg für die Zeit bis 2025 hervorzuheben, sagt viel.
Inzwischen haben viele Menschen das Gefühl, die Europäische Union sei nicht die Lösung, sondern ein Teil des Problems. Dass Juncker dies nicht aufgegriffen hat, macht sein Papier zu einem zwar beachtenswerten, aber letztlich eben doch harmlosen Beitrag zur Diskussion über das Europa nach dem Austritt der Briten.