Leben nach der Schock Diagnose
Medizin Aline Kraus aus Bad Wörishofen leidet an einer extrem seltenen Krankheit. Ihr Körper verknöchert. Warum Jahre vergingen, ehe klar war, was ihr fehlt
Bad Wörishofen Schon kurz nach der Geburt ihrer Tochter Aline wusste Ingeborg Kraus aus Bad Wörishofen, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Doch es sollte Jahre dauern, bis sie eine Antwort erhielt. Worum genau es sich handelte, konnten die Ärzte in unterschiedlichen Kliniken Deutschlands selbst nach zahlreichen komplizierten Operationen an Magen, Händen und Zehen der kleinen Aline nicht benennen. Nach einem wahren Krankenhaus-Marathon stellte ein Professor in Aschau bei der mittlerweile Achtjährigen dann eine schockierende Diagnose. Aline leidet an einer extrem seltenen Krankheit: FOP.
Die Abkürzung steht für Fibrodysplasia ossificans progressiva, eine in Schüben auftretende Krankheit. Beginnend am Kopf und dann hinunter bis zu den Zehen verwandeln sich Binde- und Stützgewebe mit der Zeit in Knochen. Im Allgäu wurde vor Jahren ein Verein gegründet, um auf FOP aufmerksam zu machen. Rund 30 Erkrankte gab es damals in Deutschland, weltweit sind etwa 800 Fälle bekannt. Der Verein „fop-ev“schätzt, dass unter zwei Millionen Menschen ein FOPErkrankter ist. Den Betroffenen hilft diese Seltenheit nicht weiter, im Gegenteil. Es gibt kaum Ärzte, die sich mit der Krankheit auskennen, sie diagnostizieren können. Entsprechend ist FOP bis heute wenig erforscht und nicht heilbar. Die Vorsitzende von „fop-ev“, Petra Sommer, hat den Verlauf der Krankheit jüngst so beschrieben: Es ist, als entstehe ein zweites Skelett. Ihr Sohn kam mit zwei geknickten großen Zehen zur Welt. Dies gilt als wichtiger Hinweis auf die Erkrankung. Sitzen kann der heute 26-Jährige nicht mehr, nur noch liegen.
Aline in Bad Wörishofen wuchs gemeinsam mit der älteren, gesunden Schwester unter Obhut der Eltern auf, die lange Zeit das Gasthaus Rössle in der Kurstadt führten. Unter den gegebenen schwierigen Verhältnissen schaffte die heute 26-jährige Aline mit Lebensmut und ungebrochen psychischer Kraft den Schulabschluss nach der neunten Klasse. Dazu gehörte auch, dass sie bereits in der siebten Klasse die Hörgeschädigten-Schule in Augsburg besuchen musste. Nach einem Jahr Berufsvorbereitung und drei Jahren Ausbildung zur Bürokraft, wagte sich Aline sogar an den Führerschein. Da jedoch auch diese Zeit von zahlreichen Krankenhausaufenthalten geprägt war, musste die junge Frau ihr Vorhaben abbrechen.
Trotz immer wieder auftretender Schübe nahm sie noch an einem Computerkurs in Memmingen teil und absolvierte Praktika im Landratsamt, in den Unterallgäuer Werkstätten, dem Büro Hundegger in Mindelheim und im Hotel Residenz.
Vor zwei Jahren stellte die Familie Kraus eine Alltagshilfe für Alina ein: Adriana Nencu. Sie kümmert sich um Alines Wohlergehen, wenn Ingeborg Kraus ihrer Arbeit als Bürokaufrau in München nachgeht. Einmal im Jahr fährt Kraus mit ihrer Tochter nach Valbert bei Meinerzhagen zum Ifopa-Tag, um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und Neues über den Stand der Forschung zu erfahren. Organisiert wird dieser Tag von fop-ev. Zwangsläufig ist Aline meist daheim, doch trifft man sie in der Öffentlichkeit, freut sie sich, wenn nicht nur über ihre Krankheit gesprochen wird. „Mit der Mitleidsmasche habe ich es überhaupt nicht“, sagt die selbstbewusste junge Frau. Um mit FOP ein halbwegs erträgliches Leben führen zu können, bedarf es allerdings immenser Geldmittel. Selbst nach Ausschöpfung aller sozialen Möglichkeiten ist nicht alles realisierbar, was gut für Aline wäre, berichtet ihre Mutter. Ein Hund zum Beispiel.
„Ein Labrador wäre wunderbar, der würde mein Leben sehr bereichern“, erzählt Aline Kraus und lächelt. Für Gesunde kein Problem. Doch mit FOP ist das nicht so einfach. Denn bevor selbst ein als gutmütig und anpassungsfähig bekannter Labrador und die kranke junge Frau zur angestrebten „Einheit“werden könnten, wären sowohl der Hund als auch ein sozial engagierter Ausbilder nötig, der noch dazu am besten vor Ort sein müsste. Das kostet viel Geld. Die Familie Kraus hofft allerdings, dass auch diese Hürde zu meistern ist.
Es gibt einen wichtigen Hinweis auf die Krankheit