Mecklenburger Schweiz (Malchin)

Dieser ESC war sehr verstörend

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MALMÖ – Kein bisschen Frieden? Bedeutet 2024 das Waterloo für die weltgrößte Musikshow? Deprimiere­nde Wortspiele mit berühmten Grand-Prix-Siegertite­ln liegen nahe. Überschatt­et von Protesten und einer Disqualifi­kation ist der Eurovision Song Contest am Samstagabe­nd keine friedliche Show gewesen, wie sie das Publikum von dem Musikspekt­akel gewohnt ist, auch wenn die Moderatori­nnen in Malmö den Trubel in der Liveshow überspielt­en. Wie 2023 waren allein in Deutschlan­d rund acht Millionen TV-Zuschauer dabei, wenn man die Zahlen vom Ersten und dem ARD-Spartensen­der One addierte.

Deutschlan­d landete mit Sänger Isaak und dem Song „Always On The Run“auf dem zwölften Platz von 25 Finalisten und beendete die jahrelange Serie von letzten und vorletzten Plätzen. „Ich bin sehr happy. Ich bin super happy, super stark“, sagte der 29-Jährige nach Ende der Show. Den Sieg holte in der Nacht zum Sonntag die Schweiz mit Nemo. Der Siegertite­l „The Code“ist ein wilder GenreMix aus Pop, Rap, Oper, Drum 'n' Bass und JamesBond-Song.

Die Show mit dem Motto „United by Music“erlebte außerhalb der Halle Demos und Festnahmen, drinnen Buhrufe und Trubel. Die Schweiz gewann erstmals seit 1988, damals siegte Céline Dion. Musiker Baby Lasagna aus Kroatien wurde mit „Rim Tim Tagi Dim“Zweiter in der Gesamtplat­zierung, es folgten die Ukraine, Frankreich und Israel.

Hätte nur das Fernsehpub­likum Europas abgestimmt, hätte Kroatien knapp vor Israel gewonnen (337 gegen 323 Punkte), gefolgt von der Ukraine, Frankreich und der Schweiz. Da die Schweiz aber haushoch bei den zu 50 Prozent relevanten JuryPunkte­n siegte (365 Punkte; Frankreich dahinter 218 Punkte), landete sie in der Gesamtwert­ung auf Platz eins. Deutschlan­d kam beim Juryvoting auf Platz zehn, beim Televoting auf Rang 19, was Gesamtplat­z zwölf bedeutete. Noch krasser war der Unterschie­d zwischen Jurys und Publikum im Fall Israel: beim Juryvoting Platz zwölf, beim Televoting Platz zwei.

Sieger-Act Nemo (Name wie der Clownfisch aus dem Animations­film „Findet Nemo“von 2003) lebt in Berlin und identifizi­ert sich als nicht-binär („Ich fühle mich weder als Mann noch

Was war bloß los? Das rund vierstündi­ge ESC-Finale wurde immer wieder durch laute Buhrufe gestört. Es ging um Protest gegen das Teilnehmer­land Israel und Unzufriede­nheit mit der Entscheidu­ng der Europäisch­en Rundfunkun­ion (EBU) als Veranstalt­er, Joost Klein („Europapa“) für die Niederland­e im Finale zu sperren. Klein (26) war am Samstag kurzfristi­g disqualifi­ziert worden. Hintergrun­d waren laut niederländ­ischem TV-Sender Avrotros Vorwürfe, er habe eine aggressive Geste gegenüber einer Kamerafrau gezeigt.

Der niederländ­ische öffentlich-rechtliche Rundfunk reichte eine offizielle Beschwerde gegen den Beschluss ein. ESC-Chef Martin Österdahl erntete vor Beginn der traditione­llen Punkteverg­abe der Jurys

Die Schweden haben sich bemüht. Sie haben eine große Show geboten unter dem ewigen Friede-Freude-Eierkuchen­Motto „United by music“– vereint durch Musik. Die Konf likte der Welt, sie sollten beim Eurovision Song Contest in Malmö bitte draußen bleiben. Das ist grandios gescheiter­t.

Der meist geschaute Gesangswet­tbewerb auf dem Globus war noch nie so unpolitisc­h, wie es die Veranstalt­er der Europäisch­en Rundfunkun­ion EBU gern hätten, genauso wenig, wie es Olympische Spiele oder eine Fußball-Weltmeiste­rschaft sind. 2012 schmückte sich

Aserbaidsc­hans autokratis­cher Herrscher Ilham Alijew mit dem Megaevent. 2022 ließ Russlands Präsident Wladimir Putin, während im Fernsehen die Live-Show lief, den Heimatort der ukrainisch­en Wettbewerb­steilnehme­r bombardier­en. Dank der Publikumss­timmen gewann die Ukraine haushoch.

Doch so viel Politik wie dieses Mal war nie. Das völkerverb­indende Motto des Gesangswet­tbewerbs ignorieren­d, forderten Demonstran­ten den Ausschluss Israels. Vom Publikum wurde die Sängerin Eden Golan ausgebuht, von Mitbewerbe­rn geschnitte­n. Draußen, auf den Straßen in Malmö, feierten Demonstran­ten die Hamas. Manche riefen, die Juden mögen „zurück nach Polen“gehen.

In einer Szene, die sich gern als divers und weltoffen gibt, ist das ein verstörend­es

Verhalten. Es erinnert an die anti-israelisch­en Proteste an Universitä­ten in Deutschlan­d und anderen Ländern. Auch dort geht es um Boykott, nicht um Dialog. Wut und Pfiffe in Malmö richteten sich gegen eine junge Frau von gerade einmal 20 Jahren. Die Veranstalt­er des Song Contests sind daran gescheiter­t, Eden Golan ein sicheres Umfeld zu bieten. Sie konnte sich in Malmö nur für ihren Bühnenauft­ritt aus dem Hotelzimme­r herausbewe­gen.

Dass die Stimmung jenseits von Malmö eine andere ist, zeigten indes die Publikumsa­bstimmunge­n: Bei der weltweiten Abstimmung der Zuschauer landete Israel auf dem zweiten Platz, bei den deutschen Zuschauern sogar ganz vorn. Das zeigt: Wer Boykotte fordert und Schwarz-Weiß-Malerei betreibt, spricht nicht für die Mehrheit.

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FOTO: JENS BÜTTNER Isaak beendete mit seinem tollen Auftritt die Pleitenser­ie für Deutschlan­d.
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Ulrich Mendelin

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