Mecklenburger Schweiz (Malchin)
Liberale legen Koalitionspartnern das „Scheidungspapier“vor
In der Ampel wird wieder einmal quergeschossen. Diesmal kündigt die FDP gemeinsame Positionen auf und reizt insbesondere die Sozialdemokraten bis aufs Blut. Die Reaktion aus dem Kanzleramt lässt auf horchen.
BERLIN – Erinnerungen an den September 1982 werden wach: Seinerzeit hatte ein Papier aus dem Haus des damaligen Wirtschaftsministers Otto Graf von Lambsdorff (FDP) die SPD während der laufenden Beratungen für den Haushalt 1983 in ihren sozialdemokratischen Grundfesten erschüttert. Lambsdorff hatte eine knallharte Reform des Wirtschaftsund Sozialrechts vorgeschlagen. Er forderte die Durchsetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien, die Haushaltskonsolidierung und die Kürzung von Sozialleistungen. Der liberale Konfrontationskurs war für die sozialdemokratische Seele Gift und unakzeptabel – die SPD/FDP-Koalition unter Führung von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) zerbrach.
Das Lambsdorff-Schreiben ist mittlerweile als „WendePapier“in den Geschichtsbüchern verewigt, und da die heutige FDP unter Parteichef Christian Lindner offenbar befürchtet, in den politischen Annalen zur marginalen Randnotiz zu mutieren, hat sie am Montag eine Beschlussvorlage für den in wenigen Tagen stattfindenden FDP-Bundesparteitag auf den Weg gebracht, die zumindest höchst mögliche Aufmerksamkeit im politischen Berlin garantiert. Die Liberalen wollen strengere Sanktionen beim Bürgergeld: Wer zumutbare Arbeit ohne gewichtigen Grund ablehne, „sollte mit einer sofortigen
Leistungskürzung von 30 Prozent rechnen müssen“, heißt es in dem Papier. Ebenso ist von einem Ende der Rente mit 63 sowie der Abschaffung von Subventionen in Erneuerbare Energien die Rede.
Während das liberale Schriftstück für die Opposition eine politische Steilvorlage ist – CSU-Chef Markus Söder sprach genüsslich vom „Scheidungspapier“für die Ampel – sät die Beschlussvorlage im durch Dauerzwist mittlerweile ohnehin fragilen Koalitionsgebilde zwischen SPD, Grünen und FDP weiteres Misstrauen und provoziert gerade die Sozialdemokraten bis aufs Blut. SPDSozialexperte
Helge Lindh reagierte entsprechend gereizt: „Wenn die FDP das ernst meinen würde, also jetzt umzusetzen gedenkt, dann liest sich das wie eine Austrittserklärung aus der Koalition.“
Doch wie ernst ist es der Lindner-FDP mit einem Koalitionsbruch? Fakt ist, dass die Freidemokraten in den Umfragen am politischen Abgrund stehen und um den Wiedereinzug in den Bundestag bei den Wahlen im Herbst 2025 mächtig zittern müssen. Ihr Stimmenteil hat sich seit der vergangenen Wahl auf Bundesebene nahezu halbiert. Insofern würden Wahlen – unabhängig davon, ob es reguläre oder vorgezogene sind – für die FDP ein enormes Risiko beinhalten. Andererseits müssen die Liberalen ihr politisches Profil schärfen, um ihre Wählerklientel in der Koalition mit der SPD und den Grünen zu befriedigen.
Obwohl die Inhalte aus dem FDP-Papier konträr zum Koalitionsvertrag stehen, reagierte die Regierungszentrale gelassen. „Die Koalition arbeitet gut und vertrauensvoll zusammen“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag mit dem Hinweis, dass man Bemerkungen „aus dem politischen Raum“nicht kommentiere.