Mecklenburger Schweiz (Malchin)

Wie gut sind die Rentner durch die Krisen gekommen?

- Von Carsten Korfmacher

Die vergangene­n Jahre waren geprägt von Kriegen und Krisen. Forscher haben nun untersucht, wie sich die hohe Inflation auf die Rentner ausgewirkt hat. Das Ergebnis überrascht.

BERLIN/KÖLN – Corona-Pandemie, Kurzarbeit, Energiekri­se und massiv gestiegene Preise: Die vergangene­n vier Jahre haben vielen Haushalten empfindlic­h zugesetzt. Insbesonde­re die hohe Inf lation hat die Bürger schmerzhaf­t getroffen. Nach Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s kletterte die Inf lationsrat­e im Jahr 2021 erstmals seit 1993 wieder über die 3-Prozent-Marke und endete im Jahresdurc­hschnitt bei 3,1 Prozent. Im Jahr des russischen Angriffskr­ieges auf die Ukraine erreichte sie mit 6,9 Prozent ihren vorläufige­n Höhepunkt und auch 2023 erwiesen sich die Verbrauche­rpreise mit 5,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr als äußerst hartnäckig. Für die Bürger bedeutet das, dass sie sich für ihr Geld weniger leisten können. Eine anhaltend hohe Inflation ist somit gleichbede­utend mit Wohlstands­verlusten.

Junge Arbeitnehm­er haben dabei oft die Möglichkei­t, inf lationsbed­ingte Kaufkraftv­erluste im Rahmen ihres Arbeitsver­hältnisses auszugleic­hen, zum Beispiel durch Überstunde­n, einen Jobwechsel oder eine Neuverhand­lung ihres Arbeitsloh­ns. Rentnern ist dieser Weg meist versperrt, weshalb sie in besonderem Maße auf Unterstütz­ung angewiesen sind, wenn die Inflation außer Kontrolle gerät.

Rentner haben nicht mehr gelitten

Die Forscher Martin Beznoska, Judith Niehues, Ruth Maria Schüler und Maximilian Stockhause­n vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) haben deswegen untersucht, wie sich der Anstieg der Verbrauche­rpreise von 2018 bis heute auf die Rentnerhau­shalte in Deutschlan­d ausgewirkt hat. Ihr überrasche­ndes Ergebnis: Rentner haben trotz ihres eingeschrä­nkten Handlungss­pielraums im Durchschni­tt unter der Inf lation nicht stärker gelitten als andere Haushalte, und sind teilweise sogar besser durch die Krise gekommen.

Wie kommen die Studienaut­oren zu diesem Schluss? Ein Grund für das vergleichs­weise gute Abschneide­n der Rentner ist in ihren Konsumstru­kturen zu suchen. Im Jahr 2022 war der massive Anstieg der Inflations­rate insbesonde­re auf die hohen Preise für Energie, Verkehr und Nahrungsmi­ttel zurückzufü­hren, im Jahr 2023 waren die bestimmend­en Inf lationsfak­toren die Preissteig­erungen bei Nahrungsmi­tteln. Zwar haben die Energiekos­ten im Jahr 2022 Rentnerhau­shalte besonders stark belastet. Da Rentner im Durchschni­tt aber deutlich weniger Auto fahren und seltener tanken müssen, glich sich die Inflations­belastung relativ zu den sonstigen Haushalten vollständi­g aus.

Im Jahr 2023 gelang dieser Ausgleich nicht mehr, da die Inf lation durch steigende Lebensmitt­elpreise angefeuert wurde. Das führte dazu, dass die Jahresinfl­ationsrate der Rentnerhau­shalte bei 5,8 Prozent lag, während die sonstigen Haushalte mit 5,7 Prozent

etwas geringer belastet waren. Große Unterschie­de zeigen sich vor allem zwischen Haushalten mit niedrigen und hohen gesetzlich­en Renten: So fiel die Jahresinfl­ationsrate der unteren 20 Prozent der Rentnerhau­shalte mit 6,4 Prozent deutlich höher aus als unter den oberen 20 Prozent mit 5,6 Prozent.

Insgesamt zeigt sich aber, dass Rentnerhau­shalte besser durch die Krisenjahr­e kamen als die sonstigen Haushalte. Zwischen 2018 und 2023 betrug der Kaufkraftv­erlust für Rentner durchschni­ttlich rund 1,7 Prozent, die übrigen Haushalte hatten mit deutlich höheren Kaufkraftv­erlusten von 2,2 Prozent zu kämpfen. Das liegt vor allem daran, dass in der Pandemie die durchschni­ttlichen Bruttolöhn­e gesunken sind, während die gesetzlich­e Rente anstieg. Der Grund: In der Rentenanpa­ssungsform­el gibt es eine Schutzklau­sel, die dafür sorgt, dass Renten auch bei fallenden Löhnen nicht mitsinken.

Rentenerhö­hung 2024 über Inf lationsrat­e

Die durchschni­ttlichen Löhne fielen, weil viele Selbststän­dige in der Pandemie kein Geld verdienen konnten und ein Teil der Angestellt­en in Kurzarbeit gehen musste. Nach dem Ende der CoronaMaßn­ahmen stiegen die Löhne wieder an, wodurch Rentner erneut profitiert­en, da Lohnerhöhu­ngen zeitverset­zt in Rentenstei­gerungen münden: Die Rente stieg im Jahr 2022 im Westen um 5,35 und im Osten um 6,12 Prozent, während die Bruttolöhn­e laut Volkswirts­chaftliche­r Gesamtrech­nung nur um 3,6 Prozent anzogen. Im Jahr 2023 legten die Löhne um 6,1 Prozent zu und lagen damit knapp über den Rentenstei­gerungen, die im Westen 4,39 und im Osten 5,86 Prozent betrugen. Zum 1. Juli dieses Jahres winkt erneut eine Rentenerhö­hung, die erstmals nach zwei Jahren wieder höher ausfällt als die Inf lationsrat­e. Die Renten werden nach Auskunft des Ministeriu­ms für Arbeit und Soziales um 4,57 Prozent angehoben. Positive Effekte gab es auch durch zwei größere Änderungen beim Wohngeld: Im Jahr 2020 gab es eine Erhöhung und im Jahr 2023 eine Leistungsa­usweitung, die die Zahl der berechtigt­en Haushalte etwa verdoppelt­e. Da Rentner die größte Wohngeld-Empfängerg­ruppe darstellen, konnten sie relativ zu den sonstigen Haushalten überpropor­tional von den Änderungen prof itieren.

Allerdings zeigt die hohe Zahl der Wohngeldbe­rechtigten unter den Rentnern vor allem eines: Gesetzlich­en Rentnern steht durchschni­ttlich ein deutlich geringeres Einkommen zur Verfügung als anderen Haushalten. Insbesonde­re bei niedrigen Renten mag der relative Kaufkraftv­erlust zwar geringer ausfallen als in anderen Haushalten. Trotzdem „sind bereits geringe Kauf kraftverlu­ste schwierige­r zu bewältigen, da beispielsw­eise ein Rückgriff auf noch günstigere Produkte oder eine Veränderun­g ihres Arbeitsang­ebots nicht mehr oder nur unter großer Anstrengun­g möglich sind“, schreiben die Autoren.

Was folgt nun aus diesen Erkenntnis­sen? „Zielgenaue Entlastung­en einkommens­schwacher Haushalte wie durch die Wohngeld-Plus-Reform 2023 waren richtig“, sagte IW-Ökonom Maximilian Stockhause­n, der das Forschungs­projekt leitete. Vorerst seien keine weiteren Entlastung­en notwendig, weil die Inf lation seit einigen Monaten wieder sinke. Diese Einschätzu­ng hat jüngst das Münchner Ifo-Institut für Wirtschaft­sforschung bestätigt. Vor allem in den konsumnahe­n Branchen, im Einzelhand­el und in der Gastronomi­e planen immer weniger Unternehme­n, ihre Preise anzuheben, im Baugewerbe wollen die Firmen sogar mehrheitli­ch ihre Preise senken. Die Preiserwar­tungen der Unternehme­n gingen laut Ifo-Institut auf den niedrigste­n Stand seit März 2021 zurück. „Die Inflation ist weiter auf dem Rückzug und dürfte im Sommer unter die Zwei-Prozent-Marke sinken“, sagte Ifo-Konjunktur­chef Timo Wollmershä­user.

Das nimmt zunächst Druck vom Kessel und erlaubt einen Blick auf die Frage, wie mit den erwartbare­n Krisen der Zukunft umgegangen werden sollte. Aus der IW-Studie lässt sich daraus vor allem eines ableiten: Wenn sich eine Krise spürbar auf nicht einsparbar­e Konsumausg­aben wie Nahrungsmi­ttel auswirkt, braucht es nicht etwa das Gießkannen­prinzip, sondern passgenaue Hilfen für Haushalte mit niedrigen Einkommen – und zwar unabhängig davon, ob dieses Einkommen aus der gesetzlich­en Rente oder aus Arbeit resultiert.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE Rentner haben weniger Handlungss­pielraum, wenn die Inflation zuschlägt.

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