„Der Schraubenzieher hat uns verbunden“
Übersetzen, Spenden sammeln, Zeit schenken: Wie sich Helfer für Geflüchtete einsetzen
- Ohne sie wäre es nicht gegangen. Als Geflüchtete aus der Ukraine im Landkreis ankamen, ließen sie ihre Arbeit liegen und opferten manchmal ihre komplette Freizeit. Von der ersten Sekunde an haben sie sich eingesetzt. So entstand in Lindau der Verein Hilfswerk Bodensee. Seine Mitglieder haben Spenden gesammelt, Fahrten organisiert, Ukrainerinnen und Ukrainer willkommen geheißen. Mittlerweile sind Freundschaften entstanden. Manche Geschichten gehen den Helferinnen und Helfern noch immer unter die Haut. Was sie erlebt haben, erzählen sie hier.
Paul Bieber ist eigentlich Schwimmer. Im Winter hat der 38Jährige Rekorde im Eisschwimmen aufgestellt. Dann änderte sich sein Alltag von heute auf morgen. Er beschloss, dass er helfen möchte und begann gemeinsam mit anderen Hilfskonvois zu organisieren, Spenden zu sammeln und sie zur Grenze zu bringen. Dabei nahmen er und die anderen Ehrenamtlichen auch Menschen aus der Ukraine mit nach Lindau. In dieser Zeit gründet Paul Bieber gemeinsam mit Aurel Sommerlad, Maren Riekmann und anderen den Lindauern den Verein Hilfswerk Bodensee, berichtet Paul Bieber.
„Die Menschen, die wir mit zurückgenommen haben, zeigten uns Bilder von schrecklichen Erlebnissen. Sie zeigten uns Videos von Checkpoints, an denen geschossen wurde. Für mich war das schlimm. Das macht etwas mit einem.
Ich mache das, weil so viel zurückkommt. Mit vielen Menschen ist der Kontakt geblieben. Einen Jungen fahre ich regelmäßig zum Deutschunterricht, andere besuche ich noch immer. Wenn ich sehe, dass es den Leuten jetzt gut geht, macht mich das glücklich. Mittlerweile gebe ich Schwimmkurse im Freibad und wenn ich dann die Leute im Bad treffe und sie lachen sehe, bin ich froh.
Die Hilfsbereitschaft am Anfang war riesig. So viele Menschen haben etwas getan, haben mir Spenden vor die Haustüre gestellt, die wir mit an die Grenze nehmen sollten. “
Auch Sascha Hülsbusch, 31, ist im Verein und setzte sich hauptsächlich bei Fahrten an die Grenze ein. Im März fuhr er mit nach Polen:
„ Die Menschen, die wir dort in einem Camp getroffen haben, waren sehr verzweifelt. Sie wussten nicht, wie es weitergeht und was mit ihnen passiert. Sie haben Schlimmes erlebt. Wir haben die Menschen angesprochen und ihnen gesagt, dass wir sie mit nach Deutschland nehmen können. Viele wollten nach Berlin, aber wir haben ihnen erklärt, dass es dort schon sehr voll ist. Wir erklärten ihnen auf einer Karte vom Bodensee, wo wir sie hinbringen können und zeigten ihnen Fotos von unseren Familien. Denn wir mussten ihr Vertrauen
erst gewinnen. Nur so hat es geklappt.“
Carmen Garcia-Klaiber hat in der Kleiderboutique des Vereins in Lindau für Ukrainerinnen und Ukrainer gearbeitet. Dort gab es Kleider, Schuhe, Kindersachen, Spielzeug und manchmal auch Essen für die Ukrainer. Die 47-Jährige hat aus einem bestimmten Grund geholfen:
„Wir waren alle schockiert und traurig, als wir von dem Krieg erfahren haben. Ich wollte etwas machen, ich konnte nicht nur Nachrichten lesen. Als der erste Hilfskonvoi aus Lindau an die polnische Grenze gefahren ist, habe ich Hunderte Packungen an Windeln, Shampoos und Toilettenpapier eingekauft und mitgeschickt. Das Schönste war: Ich habe ganz viele Menschen kennengelernt. Zum Beispiel ein Mädchen, das eine Stunde laufen musste, um zur hier zur Sprachschule zu kommen. Für mich war klar: Das kann nicht sein. Also habe ich für sie und ihre Freundin zwei Fahrräder gekauft.“
Irina Surajiw, 40, konnte ihr Ukrainisch und Russisch oft einsetzen.Immer wieder hat sie Unterlagen von Behörden übersetzt, ist die langen Texte mit den Geflüchteten durchgegangen. Ihr Mann kommt aus der Ukraine, sie war eine Zeit lang in Russland, erzählt sie.
„In den ersten Wochen nach Kriegsbeginn war ich schockiert, sprachlos und nur am Weinen. Ich konnte gar nicht aus dem Haus gehen. Als die ersten Flüchtlinge kamen, habe ich übersetzt, vermittelt, habe mit den Leuten gesprochen, sie konnten mir ihr Leid erzählen.
Bis heute bin ich jeden Tag beschäftigt, von einer Stunde bis sechs, acht oder zwölf am Tag. Ohne Helfer wären die Leute auf sich alleine gestellt. Viele waren unter Schock nach dem, was sie erlebt haben. Die wenigsten haben sich Gedanken gemacht, sie sind einfach gefahren und haben gehofft, dass ihnen geholfen wird. Bis heute kommen Leute auf mich zu, die Probleme mit der Verständigung haben.“
Wolfgang Rehfuß, 54, hat in einem Haus für Geflüchtete mitgeholfen und renoviert.
„Ich habe mit einem ukrainischen Familienvater die Küche in dem Haus aufgebaut. Er war Schreiner in Kiew und arbeitete dort in einer Küchenfabrik. Ich bin auch etwas handwerklich begabt und wir haben super zusammengearbeitet – ganz ohne Sprachbarriere, obwohl er nur ukrainische gesprochen hat und ich deutsch.
Das war ein schönes Gefühl, weil wir keine Verständigungsprobleme hatten. Der Schraubenzieher hat uns verbunden.“
Videos von den Helfern finden Sie online unter schwaebische.de/ ukraine-helfer