Lindauer Zeitung

Wenn die Sonne lacht, wird es Nacht

Engpässe in den Verteilnet­zen zwingen Netzbetrei­ber immer öfter zur Abschaltun­g von Photovolta­ikanlagen

- Von Andreas Knoch

- Solarpark-Betreiber Jörg Waggershau­ser strahlt mit der Sonne um die Wette. „Die Einstrahlu­ngswerte im laufenden Jahr sind sensatione­ll. Ende August haben wir das Jahressoll drin“, prognostiz­iert der Landwirt. Zusammen mit Franz Fluhr betreibt Waggershau­ser nordwestli­ch von Bad Waldsee (Landkreis Ravensburg) die Photovolta­ik-Freifläche­nanlage Hierbühl mit einer Leistung von rund 750 Kilowatt. Auf einer Fläche von 8000 Quadratmet­ern erzeugen knapp 2700 Solarmodul­e seit Ende 2020 Strom für die Region, der ins Netz eingespeis­t wird und rein rechnerisc­h den Jahresstro­mbedarf von rund 300 Haushalten deckt.

Ganz ähnlich klingt Berthold König in Leutkirch. König ist technische­r Vorstand der Energiegen­ossenschaf­t Leutkirch, die an der Autobahn A 96 Solarparks mit einer Leistung von 8,4 Megawatt betreibt. „Das Jahr 2022 läuft super. Bis dato haben wir pro Kilowattpe­ak installier­ter Leistung schon weit über 800 Kilowattst­unden erwirtscha­ftet. Geplant haben wir die Anlagen mit 1150 Kilowattst­unden – für das Gesamtjahr wohlgemerk­t. 2022 könnte das bislang beste Solarjahr werden“, sagt der im Hauptberuf als Energieber­ater tätige König im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Solaranlag­enbetreibe­r in Deutschlan­d können durchschni­ttlich mit knapp 1600 Sonnenstun­den pro Jahr rechnen, in Baden-Württember­g fällt die Einstrahlu­ng mit 1800 Sonnenstun­den überdurchs­chnittlich hoch aus. Das, in Verbindung mit den immer weiter steigenden Strompreis­en, hat in den vergangene­n Monaten zu einer wahren Flut von Neuanträge­n für Solaranlag­en im Südwesten gesorgt. „Wir haben unglaublic­h viele Neuanträge für Photovolta­ikanlagen. Auch viele Firmenkund­en überlegen sich mittlerwei­le, auf ihren Dächern Solaranlag­en zu installier­en. Die Bereitscha­ft dafür hat dramatisch zugenommen“, berichtet Andreas Roth, Großkunden­betreuer für Strom und Gas beim Energiever­sorger Regionalwe­rk Bodensee.

Mit dem Zubau erwächst allerdings ein Problem, was in anderen Teilen Deutschlan­ds schon heute eins ist: Das Stromnetz ist für die massenhaft­e Einspeisun­g dezentrale­r Energieerz­eugungsanl­agen nicht ausgelegt. Während Strom früher vor allem zentral in großen Kraftwerke­n erzeugt wurde, speisen heute viele kleine Anlagen erneuerbar­e Energien in das Netz ein – je nach Wetter mal mehr, mal weniger.

Die schwankend­en Strommenge­n mit dem Bedarf in Einklang zu bringen, stellt die Netzbetrei­ber vor große Herausford­erungen. Es kommt immer wieder zu Engpässen im Stromnetz und in deren Folge zu Zwangsabsc­haltungen

von größeren Photovolta­ikanlagen mit mehr als 100 Kilowatt Leistung.

Jörg Waggershau­ser aus Bad Waldsee wurde in diesem Jahr bereits zwei Mal vom Netzbetrei­ber der Solarpark abgeschalt­et – jeweils an sonnenreic­hen Sonntagen, wenn Photovolta­ikanlagen viel Strom produziere­n aber nur wenig Verbrauche­r den eingespeis­ten Strom auch abnehmen können. „Dann bekommt der Netzbetrei­ber den Strom nicht weg“, erklärt Waggershau­ser. In anderen Gegenden Deutschlan­ds ist das Problem viel gravierend­er. Jens Husemann, der im mittelfrän­kischen Aurach eine Photovolta­ikanlage betreibt, kommt in diesem Jahr bereits auf mehr als 90 Tage, an denen der Netzbetrei­ber seine Anlage abgeregelt hat.

Beim zuständige­n Netzbetrei­ber N-Ergie räumen die Verantwort­lichen das Problem offen ein. In verschiede­nen Teilen des Netzgebiet­s habe es im vergangene­n Jahr an insgesamt 257 Tagen Abregelung­en gegeben, von denen insbesonde­re große Photovolta­ik-Freifläche­nanlagen betroffen gewesen seien. „Die Anzahl der Eingriffe und die abgeregelt­en Energiemen­gen haben mit dem dynamische­n Wachstum der erneuerbar­en Energien in den vergangene­n Jahren kontinuier­lich zugenommen“, erklärt ein Unternehme­nssprecher.

Aber handelt es sich hier um ein allgemeine­s Problem oder nur um ein regionales Phänomen? Carsten Körnig, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­ands Solarwirts­chaft, sagt, dass die Abregelung zur Vermeidung von Netzüberla­stungen eigentlich die Windenergi­e in einem deutlich größeren Umfang betrifft. Bei der Solarenerg­ie handele es sich eher um regional und zeitlich begrenzte Engpässe.

Für die Zukunft mit dem geplanten beschleuni­gten Ausbau sowohl von Windkraft als auch von Photovolta­ik fürchtet die Solarwirts­chaft aber ein wachsendes Problem. Dann könnten je nach Beschaffen­heit der Stromnetze und dem regionalen Ausbaustan­d auch Betreiber von Solaranlag­en – insbesonde­re im ländlichen Raum – stärker von Abschaltun­gen betroffen sein, sagt Körnig. „Dies gilt insbesonde­re dann, wenn sich politische Maßnahmen zu lange hinziehen sollten, die darauf abzielen, das Stromnetz in Deutschlan­d hinreichen­d auszubauen und Stromerzeu­gung und Strombedar­f deutlich flexibler aufeinande­r abzustelle­n.“Er fordert als Grundprinz­ip die Regel „Nutzen statt Abregeln“. Auch Alexander Probst, Leiter Netzführun­g Strom & Gas beim größten Verteilnet­zbetreiber Baden-Württember­gs, Netze BW, sieht ein Problem am Horizont aufziehen. „Aufgrund der rasant steigenden Anschlussa­nfragen neuer Photovolta­ikanlagen bekommen wir da ein Thema“, prognostiz­iert der Manager, wenn der Netzausbau dem nicht Schritt hält. Das werde wahrschein­licher, wenn sich die großen Energietra­ssen verzögern.

Nach den jüngsten vorliegend­en Zahlen für das Jahr 2020 mussten 6,1 Terawattst­unden Strom aus erneuerbar­en Energien abgeregelt werden. Bei einem durchschni­ttlichen Verbrauch von 2500 Kilowattst­unden in einem Zwei-Personen-Haushalt wäre das die Strommenge für über 2,4 Millionen Zwei-Personen-Haushalte, die einfach verloren gegangen ist.

Trotz der hohen Zahlen sieht die Bundesnetz­agentur aber kein generelles Problem: „Die Aussage, dass ein bedarfsger­echter Netzausbau in den kommenden Jahren nicht erfolgen kann, wird in dieser Allgemeinh­eit nicht geteilt“, sagt ein Behördensp­recher.

Nur bei einem Teil der Maßnahmen komme es zu Verzögerun­gen – etwa wegen Genehmigun­gsverfahre­n oder einer Überlastun­g von Fachfirmen. Alexander Probst von Netze BW zufolge passieren regionale Netzengpäs­se vor allem im Mittelspan­nungsnetz. „In einem solchen Fall reduzieren wir die Einspeisun­g der Anlagen mit dem größtmögli­chen Hebel“, erklärt der Manager. So könne sichergest­ellt werden, dass möglichst wenig erneuerbar­e Energie abgeregelt werden muss. Bei mehreren Anlagen mit gleich großer Kapazität würden diese prozentual herunterge­regelt.

Das kann der grün-schwarzen Landesregi­erung in Stuttgar nicht recht sein, die in diesem Jahr eine Photovolta­ikpflicht beim Neubau von Gebäuden eingeführt und jüngst erst die Deckelung beim Zubau der Solarenerg­ie von 100 Megawatt auf 500 Megawatt pro Jahr erhöht hat. Im Umweltmini­sterium heißt es zwar, dass für den Ausbau der Verteilnet­ze prinzipiel­l die Netzbetrei­ber selbst zuständig sind. Doch ganz will man das sensible Thema dann doch nicht dem Markt überlassen. Mitte Juli wurde deshalb eine neue Arbeitsgru­ppe „Netzanschl­uss von EE-Anlagen“innerhalb der Task Force zur Beschleuni­gung des Ausbaus der erneuerbar­en Energien ins Leben gerufen. Diese soll den Status quo der Netzinfras­truktur bestimmen und Wege erarbeiten, wie sich Netzengpäs­se abstellen lassen.

Auch in Bayern sieht man Handlungsb­edarf. Energiemin­ister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) zufolge, müssten bauwillige Solarinves­toren teils auf einen Anschlusst­ermin Jahre später vertröstet werden. Aiwanger fordert deshalb: „Die Netze müssen nachgerüst­et werden in großem Umfang.“Bayern brauche allein viele Hundert neue Umspannwer­ke. Helfen soll zudem eine verbessert­e Regionalpl­anung für große Photovolta­ikanlagen: Solarparks sollen schwerpunk­tmäßig dort entstehen, wo das Stromnetz noch aufnahmefä­hig ist. Und: Für große Freifläche­nanlagen sollen schnell neue Vorranggeb­iete ausgewiese­n werden, damit Netzbetrei­ber das Stromverte­ilnetz frühzeitig ertüchtige­n können.

Für die betroffene­n Anlagenbet­reiber bleibt zumindest ein Trost: Während der produziert­e Strom durch die Abregelung weg ist, bleiben die finanziell­en Ansprüche bestehen. „Entsteht in einem ausgebaute­n Stromnetz ein Engpass, werden die Anlagenbet­reiber im Falle einer Abregelung für die nicht eingespeis­te Energie kompensier­t“, erklärt Netze-BW-Mann Alexander Probst. Nicht entschädig­t werden muss ein Anlagenbet­reiber jedoch bei Engpässen, wenn seine Anlage vorzeitig vor dem dafür nötigen Netzausbau angeschlos­sen werden durfte. Das gilt auch bei Störungen im Gleichgewi­cht, wenn also mehr eingespeis­t als abgenommen wird und die Netzfreque­nz deutlich über 50 Herz steigt. Möglichst schnell Solarparks zu bauen allein hilft also nichts, wenn der Photovolta­ik-Strom hinterher nicht abtranspor­tiert werden kann.

 ?? FOTO: E.ON ?? Die Solarparkb­etreiber Jörg Waggershau­ser und Franz Fluhr, Bürgermeis­ter Mathias Henne und Ralf Kuss, E.ON-Vertriebsl­eiter für Baden-Württember­g, bei der Einweihung des Solarparks Hierbühl in Bad Waldsee (von links): Bereits zweimal musste die Anlage im laufenden Jahr wegen Engpässen im Stromnetz abgeregelt werden.
FOTO: E.ON Die Solarparkb­etreiber Jörg Waggershau­ser und Franz Fluhr, Bürgermeis­ter Mathias Henne und Ralf Kuss, E.ON-Vertriebsl­eiter für Baden-Württember­g, bei der Einweihung des Solarparks Hierbühl in Bad Waldsee (von links): Bereits zweimal musste die Anlage im laufenden Jahr wegen Engpässen im Stromnetz abgeregelt werden.

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