Wenn die Sonne lacht, wird es Nacht
Engpässe in den Verteilnetzen zwingen Netzbetreiber immer öfter zur Abschaltung von Photovoltaikanlagen
- Solarpark-Betreiber Jörg Waggershauser strahlt mit der Sonne um die Wette. „Die Einstrahlungswerte im laufenden Jahr sind sensationell. Ende August haben wir das Jahressoll drin“, prognostiziert der Landwirt. Zusammen mit Franz Fluhr betreibt Waggershauser nordwestlich von Bad Waldsee (Landkreis Ravensburg) die Photovoltaik-Freiflächenanlage Hierbühl mit einer Leistung von rund 750 Kilowatt. Auf einer Fläche von 8000 Quadratmetern erzeugen knapp 2700 Solarmodule seit Ende 2020 Strom für die Region, der ins Netz eingespeist wird und rein rechnerisch den Jahresstrombedarf von rund 300 Haushalten deckt.
Ganz ähnlich klingt Berthold König in Leutkirch. König ist technischer Vorstand der Energiegenossenschaft Leutkirch, die an der Autobahn A 96 Solarparks mit einer Leistung von 8,4 Megawatt betreibt. „Das Jahr 2022 läuft super. Bis dato haben wir pro Kilowattpeak installierter Leistung schon weit über 800 Kilowattstunden erwirtschaftet. Geplant haben wir die Anlagen mit 1150 Kilowattstunden – für das Gesamtjahr wohlgemerkt. 2022 könnte das bislang beste Solarjahr werden“, sagt der im Hauptberuf als Energieberater tätige König im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Solaranlagenbetreiber in Deutschland können durchschnittlich mit knapp 1600 Sonnenstunden pro Jahr rechnen, in Baden-Württemberg fällt die Einstrahlung mit 1800 Sonnenstunden überdurchschnittlich hoch aus. Das, in Verbindung mit den immer weiter steigenden Strompreisen, hat in den vergangenen Monaten zu einer wahren Flut von Neuanträgen für Solaranlagen im Südwesten gesorgt. „Wir haben unglaublich viele Neuanträge für Photovoltaikanlagen. Auch viele Firmenkunden überlegen sich mittlerweile, auf ihren Dächern Solaranlagen zu installieren. Die Bereitschaft dafür hat dramatisch zugenommen“, berichtet Andreas Roth, Großkundenbetreuer für Strom und Gas beim Energieversorger Regionalwerk Bodensee.
Mit dem Zubau erwächst allerdings ein Problem, was in anderen Teilen Deutschlands schon heute eins ist: Das Stromnetz ist für die massenhafte Einspeisung dezentraler Energieerzeugungsanlagen nicht ausgelegt. Während Strom früher vor allem zentral in großen Kraftwerken erzeugt wurde, speisen heute viele kleine Anlagen erneuerbare Energien in das Netz ein – je nach Wetter mal mehr, mal weniger.
Die schwankenden Strommengen mit dem Bedarf in Einklang zu bringen, stellt die Netzbetreiber vor große Herausforderungen. Es kommt immer wieder zu Engpässen im Stromnetz und in deren Folge zu Zwangsabschaltungen
von größeren Photovoltaikanlagen mit mehr als 100 Kilowatt Leistung.
Jörg Waggershauser aus Bad Waldsee wurde in diesem Jahr bereits zwei Mal vom Netzbetreiber der Solarpark abgeschaltet – jeweils an sonnenreichen Sonntagen, wenn Photovoltaikanlagen viel Strom produzieren aber nur wenig Verbraucher den eingespeisten Strom auch abnehmen können. „Dann bekommt der Netzbetreiber den Strom nicht weg“, erklärt Waggershauser. In anderen Gegenden Deutschlands ist das Problem viel gravierender. Jens Husemann, der im mittelfränkischen Aurach eine Photovoltaikanlage betreibt, kommt in diesem Jahr bereits auf mehr als 90 Tage, an denen der Netzbetreiber seine Anlage abgeregelt hat.
Beim zuständigen Netzbetreiber N-Ergie räumen die Verantwortlichen das Problem offen ein. In verschiedenen Teilen des Netzgebiets habe es im vergangenen Jahr an insgesamt 257 Tagen Abregelungen gegeben, von denen insbesondere große Photovoltaik-Freiflächenanlagen betroffen gewesen seien. „Die Anzahl der Eingriffe und die abgeregelten Energiemengen haben mit dem dynamischen Wachstum der erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen“, erklärt ein Unternehmenssprecher.
Aber handelt es sich hier um ein allgemeines Problem oder nur um ein regionales Phänomen? Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft, sagt, dass die Abregelung zur Vermeidung von Netzüberlastungen eigentlich die Windenergie in einem deutlich größeren Umfang betrifft. Bei der Solarenergie handele es sich eher um regional und zeitlich begrenzte Engpässe.
Für die Zukunft mit dem geplanten beschleunigten Ausbau sowohl von Windkraft als auch von Photovoltaik fürchtet die Solarwirtschaft aber ein wachsendes Problem. Dann könnten je nach Beschaffenheit der Stromnetze und dem regionalen Ausbaustand auch Betreiber von Solaranlagen – insbesondere im ländlichen Raum – stärker von Abschaltungen betroffen sein, sagt Körnig. „Dies gilt insbesondere dann, wenn sich politische Maßnahmen zu lange hinziehen sollten, die darauf abzielen, das Stromnetz in Deutschland hinreichend auszubauen und Stromerzeugung und Strombedarf deutlich flexibler aufeinander abzustellen.“Er fordert als Grundprinzip die Regel „Nutzen statt Abregeln“. Auch Alexander Probst, Leiter Netzführung Strom & Gas beim größten Verteilnetzbetreiber Baden-Württembergs, Netze BW, sieht ein Problem am Horizont aufziehen. „Aufgrund der rasant steigenden Anschlussanfragen neuer Photovoltaikanlagen bekommen wir da ein Thema“, prognostiziert der Manager, wenn der Netzausbau dem nicht Schritt hält. Das werde wahrscheinlicher, wenn sich die großen Energietrassen verzögern.
Nach den jüngsten vorliegenden Zahlen für das Jahr 2020 mussten 6,1 Terawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien abgeregelt werden. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 2500 Kilowattstunden in einem Zwei-Personen-Haushalt wäre das die Strommenge für über 2,4 Millionen Zwei-Personen-Haushalte, die einfach verloren gegangen ist.
Trotz der hohen Zahlen sieht die Bundesnetzagentur aber kein generelles Problem: „Die Aussage, dass ein bedarfsgerechter Netzausbau in den kommenden Jahren nicht erfolgen kann, wird in dieser Allgemeinheit nicht geteilt“, sagt ein Behördensprecher.
Nur bei einem Teil der Maßnahmen komme es zu Verzögerungen – etwa wegen Genehmigungsverfahren oder einer Überlastung von Fachfirmen. Alexander Probst von Netze BW zufolge passieren regionale Netzengpässe vor allem im Mittelspannungsnetz. „In einem solchen Fall reduzieren wir die Einspeisung der Anlagen mit dem größtmöglichen Hebel“, erklärt der Manager. So könne sichergestellt werden, dass möglichst wenig erneuerbare Energie abgeregelt werden muss. Bei mehreren Anlagen mit gleich großer Kapazität würden diese prozentual heruntergeregelt.
Das kann der grün-schwarzen Landesregierung in Stuttgar nicht recht sein, die in diesem Jahr eine Photovoltaikpflicht beim Neubau von Gebäuden eingeführt und jüngst erst die Deckelung beim Zubau der Solarenergie von 100 Megawatt auf 500 Megawatt pro Jahr erhöht hat. Im Umweltministerium heißt es zwar, dass für den Ausbau der Verteilnetze prinzipiell die Netzbetreiber selbst zuständig sind. Doch ganz will man das sensible Thema dann doch nicht dem Markt überlassen. Mitte Juli wurde deshalb eine neue Arbeitsgruppe „Netzanschluss von EE-Anlagen“innerhalb der Task Force zur Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien ins Leben gerufen. Diese soll den Status quo der Netzinfrastruktur bestimmen und Wege erarbeiten, wie sich Netzengpässe abstellen lassen.
Auch in Bayern sieht man Handlungsbedarf. Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) zufolge, müssten bauwillige Solarinvestoren teils auf einen Anschlusstermin Jahre später vertröstet werden. Aiwanger fordert deshalb: „Die Netze müssen nachgerüstet werden in großem Umfang.“Bayern brauche allein viele Hundert neue Umspannwerke. Helfen soll zudem eine verbesserte Regionalplanung für große Photovoltaikanlagen: Solarparks sollen schwerpunktmäßig dort entstehen, wo das Stromnetz noch aufnahmefähig ist. Und: Für große Freiflächenanlagen sollen schnell neue Vorranggebiete ausgewiesen werden, damit Netzbetreiber das Stromverteilnetz frühzeitig ertüchtigen können.
Für die betroffenen Anlagenbetreiber bleibt zumindest ein Trost: Während der produzierte Strom durch die Abregelung weg ist, bleiben die finanziellen Ansprüche bestehen. „Entsteht in einem ausgebauten Stromnetz ein Engpass, werden die Anlagenbetreiber im Falle einer Abregelung für die nicht eingespeiste Energie kompensiert“, erklärt Netze-BW-Mann Alexander Probst. Nicht entschädigt werden muss ein Anlagenbetreiber jedoch bei Engpässen, wenn seine Anlage vorzeitig vor dem dafür nötigen Netzausbau angeschlossen werden durfte. Das gilt auch bei Störungen im Gleichgewicht, wenn also mehr eingespeist als abgenommen wird und die Netzfrequenz deutlich über 50 Herz steigt. Möglichst schnell Solarparks zu bauen allein hilft also nichts, wenn der Photovoltaik-Strom hinterher nicht abtransportiert werden kann.