Morde von Hanau überschatten Integrationsgipfel
Migranten fordern vor Spitzentreffen mehr Schutz – Widmann-Mauz schlägt „Hilfetelefon Rassismus“vor
- Nach den mutmaßlich rassistischen Morden von Hanau will die Bundesregierung ein Zeichen des Dialogs setzen: Vor dem regulären elften Integrationsgipfel am kommenden Montag in Berlin wollen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Integrations-Staatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU) mit etwa 60 Vertretern von Migrantenorganisationen im Kanzleramt treffen.
„Wir wollen eine offene Aussprache“, kündigte Widmann-Mauz am Freitag an. Es gehe darum, sich nicht nur die Sorgen anzuhören, sondern auch zu diskutieren – und ein Zeichen zu setzen, „dass wir zusammengehören und uns nicht spalten lassen“. Nach dem Anschlag und den vorherigen rechtsextremistischen Morden in Halle und Kassel könne man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sagte sie.
In Hanau hatte ein offenbar geistig verwirrter Mann vergangene Woche mutmaßlich zunächst neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen. Anschließend tötete er seine Mutter und sich selbst. Die Bundesanwaltschaft geht von einer „zutiefst rassistischen Gesinnung“des Mannes aus. Widmann-Mauz war nach dem Anschlag nach Hanau gereist: „Die Gespräche, die ich vor Ort geführt habe, gehen mir bis zum heutigen Tag nicht aus dem Kopf“, sagte sie.
Dass das Gespräch allzu harmonisch wird, ist nicht zu erwarten, denn viele Opfer von Rassismus fühlen sich nicht ausreichend gehört. Gerade erst hat die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen einen „Masterplan gegen Rechtsextremismus“gefordert. Das Bündnis sieht sich als Stimme des knappen Viertels der deutschen Bevölkerung mit Migrationshintergrund.
In einem offenen Brief an Merkel beklagt das Bündnis einen weit verbreiteten Rassismus. „Die Würde des Menschen ist nicht gleichermaßen unantastbar für alle Menschen in Deutschland 2020. 19 Millionen Menschen sind in Schule, Ausbildung, am Arbeits- und Wohnungsmarkt nachweislich teils massiven strukturellen Diskriminierungen ausgesetzt“, heißt es im Schreiben. Diese Menschen „verlieren das Vertrauen in eine Verfassung, die sie nicht schützt“, beklagen die Migranten. Zumal dieses knappe Viertel der Gesellschaft durch keinen einzigen Minister im Kabinett vertreten ist.
Widmann-Mauz sieht ebenfalls Handlungsbedarf, nicht nur bei der Frage, ob das ungelenke Wort „Migrationshintergrund“angesichts der Vielfalt der Menschen in Deutschland überhaupt noch zeitgemäß ist. Die Angst vieler Menschen sei „leider Gottes berechtigt“, erklärte die Staatsministerin. Sie schlägt ein unabhängiges „Hilfetelefon Rassismus“vor, das Opfer und Angehörige nach dem Vorbild des Hilfetelefons „Gewalt
gegen Frauen“berät. Angesichts der Bedrohung durch den Rechtsextremismus brauche es zudem mehr verlässliche Anlaufstellen für Opfer rechter Gewalt mit auskömmlicher Finanzierung. Bislang laufen viele Beratungen auf Projektbasis und hangeln sich von Befristung zu Befristung. Hilfetelefon und Beratung könnten zusammen ein Monitoring liefern, wie es tatsächlich um Rassismus und Rechtsextremismus im Land bestellt ist.
Auch müsse geprüft werden, ob die nach dem Anschlag auf die Synagoge von Halle auf den Weg gebrachten Maßnahmen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus im Punkt Islamfeindlichkeit „nachjustiert“werden. Widmann-Mauz ist zudem für den Aufbau einer Expertenkommission zum Thema Muslimfeindlichkeit.
Dabei mache das Einwanderungsland Deutschland auch Fortschritte: Als Beispiel nannte Widmann-Mauz das am Sonntag in Kraft tretende Einwanderungsgesetz für Fachkräfte. Doch das reiche nicht: „Wir müssen jetzt auch zum Integrationsland wachsen, denn ansonsten bleibt ein solches Gesetz nur ein Rumpf “, sagte sie. Die Integration soll dabei früh beginnen, idealerweise bereits vor der Zuwanderung im Herkunftsland. Dort sollen Auswanderwillige über das Leben in Deutschland sowie Chancen und Risiken aufgeklärt werden. Das war auch Hauptthema des geplanten elften Integrationsgipfels. Bis zu den Morden von Hanau.