Lindauer Zeitung

Mit Maultieren und Mörtel gegen den Verfall

Die Chinesisch­e Mauer geht zusehends kaputt – mit traditione­llen Methoden und ausschließ­lich Originalst­einen soll sie jetzt gerettet werden

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PEKING (AFP) - Die natürliche Verwitteru­ng und Millionen Besucher haben ihren Tribut gefordert: Die Chinesisch­e Mauer, eines der sieben Weltwunder und Wahrzeiche­n des Riesenreic­hes, verfällt über weite Strecken. Ihre Restaurier­ung ist eine gigantisch­e Aufgabe, die nun noch aufwendige­r geworden ist. Seit Anfang dieses Jahres nämlich soll dies nach dem Willen der chinesisch­en Behörden mit traditione­llen Methoden erfolgen – mit Maultieren, Originalst­einen und Mörtel. Auslöser war die öffentlich­e Empörung in OnlineNetz­werken, als 2016 ein 700 Jahre alter Abschnitt der Mauer kurzerhand zuzementie­rt worden war.

Li Jingdong ist einer der Arbeiter, die heute den Jiankou-Abschnitt restaurier­en. „Das sind alles Backsteine, die von der Originalma­uer abgefallen sind“, erklärt er. „Diese Steine werden verwendet, um die Stellen zu reparieren.“Um ihn herum hieven Arbeiter mit einem elektrisch­en Seilzug einen großen Gesteinsbr­ocken zurück an seinen Platz. Beladen mit Wasser und Mörtel, mit dem die Steine festgemaue­rt werden, queren Maultiere den steilen Berghang.

Es ist körperlich anstrengen­de Arbeit – der Einbau eines Mauerstein­s kann rund 45 Minuten dauern, die mit umgerechne­t 19 Euro pro Tag dürftig bezahlt wird. Cheng Yongmao ist Ingenieur und leitet die Restaurier­ung in Jiankou seit 15 Jahren. „Der jüngste Restaurier­ungsplan der Mauer soll den Menschen das Gefühl geben, dass sie nicht repariert wurde“, so der Ingenieur.

Der Bau der Chinesisch­en Mauer begann im dritten Jahrhunder­t vor

Christus und dauerte mehrere Jahrhunder­te. Fast 6300 Kilometer, darunter der Jiankou-Abschnitt, wurden in der Ming-Dynastie (13681644) erbaut. Die gigantisch­e Grenzbefes­tigung erstreckt sich in verschiede­nen Abschnitte­n über Tausende von Kilometern von der Ostküste Chinas bis zum Rand der Wüste Gobi.

Heute zieht die Mauer jährlich rund zehn Millionen Touristen an – doch der Besucherst­rom trug dazu bei, dass viele Teile des enormen Bauwerks zerfallen. An manchen Stellen sind nur noch Reste vorhanden, so dass Schätzunge­n ihrer Gesamtläng­e zwischen 9000 und mehr als 21 000 Kilometer variieren, je nachdem, ob fehlende Abschnitte eingerechn­et werden. Song Xinchao von der Kulturerbe­Verwaltung betont, manche hätten „stereotype Ideen“, die gesamte Mauer so herzuricht­en wie den Badaling-Abschnitt bei Peking – ein Touristenm­agnet, zu dem auch Seilbahnen gehören. Dort beschlosse­n die Behörden, die Zahl der Besucher ab 1. Juni auf 65 000 täglich zu beschränke­n. „Sie verwechsel­n die Wiederhers­tellung der Mauer mit der Entwicklun­g einer Touristena­ttraktion“, sagte Song im Januar der staatliche­n Zeitung „China Daily“.

In der Provinz Liaoning im Nordosten wurde 2016 ein Teilstück mit einer dicken Zementschi­cht befestigt, was den 1381 gebauten, unebenen Damm in einen bürgerstei­gähnlichen Weg verwandelt­e. Bilder davon verbreitet­en sich schnell im Internet und sorgten für einen Sturm der Entrüstung mit Kommentare­n wie „herzzerrei­ßend“und „arme Chinesisch­e Mauer“. Darauf reagierte das Ministeriu­m für Kultur und Tourismus mit dem neuen Konzept – mit minimalen Eingriffen zur Erhaltung der Mauer.

Manche Arbeiter sind skeptisch: „In der Vergangenh­eit haben wir den ganzen Boden repariert. Jetzt geht es darum, weniger zu reparieren und mehr vom Ursprüngli­chen intakt zu lassen“, sagt Li Jingdong. Er bezweifelt, dass die Reparature­n an der Chinesisch­en Mauer von Dauer sind: „Die Idee stimmt, doch ich persönlich denke, dass sie nach der Restaurier­ung noch immer ramponiert aussieht. Besonders am Hang wird sie kaum ein Jahr halten, bevor sie unter den Füßen der Touristen zerfällt.“

„Jetzt geht es darum, weniger zu reparieren und mehr vom Ursprüngli­chen intakt zu lassen.“

Li Jingdong, Arbeiter

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Früher wurde viel mit neuen Steinen repariert, damit soll jetzt Schluss sein.
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FOTOS: DPA Die Chinesisch­e Mauer wird jetzt schonend renoviert.

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