Not und Trauer in Mosambik
Überlebende der Flut harren noch immer auf Bäumen und Dächern aus – Dimension und Dramatik der Krise werden nur langsam deutlich
Im afrikanischen Mosambik (Foto: AFP) spielt sich nach dem schweren Tropensturm „Idai“eine humanitäre Katastrophe ab. Die Regierung hat wegen verheerender Überschwemmungen im Zentrum den Notstand erklärt und eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen. Es wird mit bis zu 1000 Todesopfern gerechnet. Tausende Menschen sind obdachlos, viele harren angesichts der Wassermassen auf Dächern und Bäumen aus. In vielen Orten gibt es keinen Strom.
Einzelne, so ist es auf einem Luftbild zu sehen, kämpfen sich durch hüfthohes Wasser zu einem größeren eingeschossigen Gebäude. Auf dessen eingebeultem Dach, auf der einen Hälfte, die noch trägt, harren bereits zig Menschen aus. Sie warten auf Rettung. Darauf, dass sich das Meer um sie herum endlich zurückzieht. Dass jemand Trinkwasser und Essen über ihnen abwirft. Das Foto ist nicht etwa alt. Es ist von gestern, Mittwoch, Tag 6 nach dem Zyklon Idai.
Noch immer, das sagen die Retter, sitzen Hunderte, wenn nicht Tausende, auf Inseln fest, die manchmal nicht größer sind als der Ast eines Baumes. Den sie sich, wie die Helfer berichten, oft genug mit Schlangen und Skorpionen teilen müssen. An dem manche sich auch nicht mehr festklammern konnten, entkräftet hinabfielen und ertranken.
Zyklon Idai, lang und präzise vorhergesagt, fegte in der Nacht zu vergangenem Freitag mit mehr als 170 Stundenkilometern und peitschendem Regen hinweg über Zentralmosambik, zunächst über die Hafenstadt Beira mit ihren 500 000 Einwohnern, dann über ganze Provinzen weiter im Westen bis Malawi und Simbabwe. Dort hatte es schon zuvor heftig geregnet. Die Flüsse Buzi und Pungwe waren schon vor Idai über die Ufer getreten, doch nun rissen die Wassermassen wichtige Arterien entzwei, Brücken, Straßen, Leitungen. Es ist nicht übertrieben, für große Teile Beiras und der Provinz Sofala von einem Blackout zu sprechen. Und auch der hielt gestern noch an, weil die staatlichen Elektrizitätsbetriebe wichtige Zuleitungen von den Kraftwerken zu den UmschaltstatioBis nen nicht scharf schalten konnten – aus Angst davor, überspülte Flächen unter Starkstrom zu setzen, wie eine gut informierte Quelle der Zeitung „Canal de Moçambique“berichtete.
Nur Generatoren könnten helfen, zumindest wichtige Gebäude wieder mit Strom zu versorgen. Aber wie sollen die mobilen Stromerzeuger in die Metropole kommen, wenn nicht mal zu Fuß ein Weg in die verwüstete Stadt führt? Erdrutsche, Dammbrüche, Schlammlawinen, Überflutung. Dazu kein Strom und stark eingeschränkte Handykommunikation. Angesichts der dramatischen Lage rief Mosambiks Regierung am Mittwoch den Notstand aus.
zum Donnerstag dieser Woche wurden sogar noch steigende Wasserstände vorhergesagt – das aber wären nicht die besten Startbedingungen für die Reparatur auch nur der dringendsten Bestandteile der öffentlichen Infrastruktur. Hubschrauber und Flugzeuge sind derzeit die Mittel der Wahl, schon am Sonntag konnten die ersten 22 Tonnen Energiekekse der UN auf Beiras Airport gelöscht werden. Der Seehafen von Beira ist zwar teilweise in Betrieb, aber keiner weiß genau, wie schwere Lasten von dort weiter ins Land gelangen könnten. Oder wie die sichere Lagerung der Hilfsgüter ausssehen soll, wenn sogar die großen Treibstofftanks im Hafen vom Wind eingedrückt wurden wie morsche Sichtblenden eines Schrebergartens.
Beira, strategisch wichtiger Hafen und Hauptstadt der Provinz Sofala, war schon vor Idai keine wohlhabende Stadt, weder modern noch gut erhalten, eher stillstehend. Seit dem Abzug der Portugiesen wurde da kein neues Haus gebaut, es gab immer große Probleme. Jobs fehlten, Toiletten, Müllentsorgung und dazu das immer wiederkehrende Problem der Überflutungen, wenn Wind, Tide und Pegel des Pungwe sich gegen Beira verschworen hatten. Von der Zentralregierung in Maputo ganz abgesehen, denn die regierende Frelimo hat sich nie damit abfinden können, Beira an den oppositionellen Bürgermeister Daviz Simango verloren zu haben, den Sohn eines ermordeten Dissidenten. Der Aufbau werde Jahre dauern, ließ Simangos Verwaltung verlauten. Aber noch sind ja noch nicht einmal alle Überlebenden gerettet.
„Es ist viel schlimmer, als wir erwartet hatten“, sagt die NotfallSprecherin des Internationalen Roten Kreuzes in Beira, Caroline Haga. Die Wassermassen seien das größte Problem, die von Strom und Kommunikation weitgehend abgeschnittene Stadt Beira und jetzt die logistischen Probleme mit ihrem viel zu kleinen und beschädigten Flughafen, der in Kürze völlig überfüllt sein könnte. Haga berichtete von 167 Geretteten am Dienstag, für den Mittwoch sagte sie eine weit größere Zahl voraus.
Zahl der Todesopfer unklar
Die Zahl der bestätigten Todesopfer lag in Mosambik nach Regierungsangaben von Dienstag bei 202, in Simbabwe bei rund 100. Doch schon am Montag hatte Mosambiks Staatschef Filipe Nyusi eine weit höhere Zahl vorhergesagt, mit mindestens Tausend Toten rechne er, sagte er nach einem Überflug über das Katastrophengebiet. Er habe viele Leichen im Wasser gesehen. „Binnenmeer“, nennen es die Helfer. Nyusi verhängte eine dreitätige Staatstrauer, die am Mittwoch begann, setzte die Armee in Marsch und ließ sein Kabinett im zerstörten Beira tagen – ein Signal, dass er die Region nicht im Stich lassen wolle.
Doch seine Regierung wird kaum in der Lage sein, 400 000 Geschädigten auf 800000 Hektar Ackerland über Jahre beim Wiederaufbau unter die Arme zu greifen. Manche Quellen sprechen auch schon von 900 000 Geschädigten.
Die Kosten der Infrastruktur und der Rekonstruktion von Beira dürften ebenfalls die Möglichkeiten der Regierung übersteigen. Ihr Budget ist im Jahr nicht höher als das der Stadt Frankfurt/Main, zwischen vier bis fünf Milliarden Euro in guten Jahren. Dass unter Nyusis Vorgänger rund zwei Milliarden Euro an illegalen Krediten aufgenommen wurden, wovon ein Teil verschwand, mag neben der lange unklaren Nachrichtenlage eine gewisse Zurückhaltung erklären, mit der internationale Geber auf die größte Naturkatastrophe Mosambiks reagierten.
Doch am Mittwoch kam langsam doch noch Bewegung ins Hilfskarussell. Die EU versprach 3,5 Millionen Euro an Soforthilfen, die Bundesregierung verkündete, sie sei mit einer Million Euro dabei. Indien und Südafrika schicken Militär zur Hilfe, dazu kommt in Mosambik selbst und in den Nachbarstaaten eine Kampagne der Bürgersolidarität mit den Opfern der Überflutung. Sammelaktionen, Spendenaufrufe und Transporte – die sozialen Netzwerke glühen seit Tagen, erst mit Schreckensbildern, jetzt mit Hilfeaufrufen.