Lindauer Zeitung

Haft auf Bewährung wegen 15,49 Euro

71-Jähriger stiehlt wiederholt – Gericht gibt dem Mann noch einmal eine Chance

- Von Sibylle Mettler

OBERALLGÄU - Ein Motorradma­gazin, zwei Taschenmes­ser, ein Spannungsp­rüfer, ein Teppichmes­ser und eine Taschenlam­pe hätten einen 71-Jährigen beinahe ins Gefängnis gebracht. Er musste sich wegen räuberisch­en Diebstahls vor dem Sonthofer Amtsgerich­t verantwort­en. Die Staatsanwa­ltschaft forderte eine Freiheitss­traße von acht Monaten. Am Ende kam der Oberallgäu­er mit einer Bewährungs­strafe davon.

Der Mann, der sich vor der Berufsrich­terin und den beiden Schöffenri­chterinnen verantwort­en musste, sprach während der Sitzung immer wieder mit seinem Pflichtver­teidiger. Er wirkte nervös und gab zu verstehen, dass er die Anklage für falsch hält. Aber er wollte zunächst weder zu sich, zu seinem Leben noch zu dem ihm vorgeworfe­nen Diebstahl etwas sagen. „Er hat eine ganz andere Wahrnehmun­g von dem Vorfall“, erklärte sein Anwalt. „Das sagt er immer“, entgegnete Berufsrich­terin Brigitte Gramatte-Dresse. Sie dachte schon laut darüber nach, einen Gutachter die Schuldfähi­gkeit des 71-Jährigen untersuche­n zu lassen. Dafür gebe es aber keine konkreten Anhaltspun­kte, war sie sich dann mit dem Verteidige­r des Mannes einig.

Dabei ist der schmächtig­e Mann mit dem grauen Bart dem Gericht gut bekannt. Er war zuvor schon fünfmal vom Amtsgerich­t verurteilt worden, darunter viermal wegen Diebstahls. Weil er zu der Tat keine Angaben machen wollte, musste das Gericht den Hergang mithilfe dreier Zeugen rekonstrui­eren. Ein Ladendetek­tiv, ein Polizist und ein Passant zeichneten ein übereinsti­mmendes Bild jenes Januartage­s.

Versucht mit Rad zu fliehen

Demnach beobachtet­e der Detektiv, wie der 71-Jährige ein billiges Taschenmes­ser einsteckte und den den Laden verließ, ohne es zu bezahlen. Als er ihn vor dem Laden zur Rede stellte, versuchte der Beschuldig­te, mit dem Rad zu flüchten. Das gelang aber nicht, weil der Detektiv den Lenker festhielt. Daraufhin bog ihm der Dieb die Finger um. Der kräftige Ladendetek­tiv ließ auch dann nicht locker. Und so flüchtete der 71-Jährige zu Fuß.

Ein Passant bekam das mit, setzte ihm mit seinem Auto nach, stellte ihn und rang ihn zu Boden. Die Polizei stellte schließlic­h fest, dass der Mann noch weitere Waren im Wert von insgesamt 15,49 Euro einstecken hatte.

Erst als die Beweisaufn­ahme schon abgeschlos­sen war und Verteidige­r und Staatsanwa­lt mit ihren Plädoyers fertig waren, fing der Rentner doch noch vor Gericht zu sprechen an. Er stellte sich als Opfer dar, das von dem Ladendetek­tiv und dem Passanten niedergeru­ngen wurde und gar nicht wusste, weswegen man ihn festhalten wollte. Die Ware habe er bei einem anderen Einkauf Stunden zuvor regulär bezahlt. Ein Einkaufsze­ttel bewies, dass der 71-Jährige, der von Grundsiche­rung lebt, tatsächlic­h dort einkaufen war. Es fand sich aber nirgends ein Beleg für die Messer und anderen Artikel. Zudem beteuerte der Ladendetek­tiv, ihn beim Stehlen beobachtet zu haben.

200 Stunden gemeinnütz­ige Arbeit

Und so waren die drei Richter am Ende überzeugt, dass der Angeklagte gestohlen hatte. Den Vorwurf des räuberisch­en Diebstahls sahen sie dagegen nicht als erwiesen an. Dazu hätte man dem Mann nachweisen müssen, dass er dem Detektiv die Hand absichtlic­h umbog, um die Ware zu behalten, erklärte Gramatte-Dresse und ergänzte: „Ich glaube, er wollte einfach weg.“So wurde der 71-Jährige wegen Diebstahls zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Außerdem muss er 200 Stunden gemeinnütz­ige Arbeit leisten.

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