Wenn Frieden diktiert wird
Oper mit wechselvoller Geschichte: Antonio Vivaldis „Motezuma“am Ulmer Theater
- Auch Opern haben ihre Schicksale. Antonio Vivaldis Dreiakter „Motezuma“, der jetzt in einer ebenso kurzweiligen wie hintersinnigen Inszenierung von Antje Schupp erstmals am Ulmer Theater auf dem Spielplan steht, kann mit wechselvollen Geschicken aufwarten. Das gilt nicht nur für die Handlung des Stücks, sondern auch für die Überlieferungsgeschichte der Musik. Nach der Uraufführung 1733 in Venedig ging die Partitur zunächst verloren. Nur die Ouvertüre, eine Arie und das bemerkenswerte Libretto blieben erhalten.
Girolamo (oder Luigi) Giusti hat historische Berichte über die Eroberung Mexikos durch Hernán Cortés in seinem Textbuch mit dichterischer Freiheit ausgewertet. Die siegreichen Spanier werden in seiner Version keineswegs als Vertreter überlegener christlicher Kultur idealisiert. Cortés, der hier Fernando heißt und einen fiktiven Bruder Ramiro hat, rechtfertigt skrupellos und zynisch sein brutales, hinterlistiges Vorgehen gegen den Titelhelden (erst nach Vivaldis Zeit setzte sich der spanische Name Montezuma für den Aztekenherrscher durch).
Motezumas Gattin Mitrena, Tochter Teutile und sein General Asprano komplettieren Giustis Plot als theaterwirksam hinzuerfundene Figuren. Besonders Mitrenas Anklage gegen die Invasoren weckt Mitgefühl für die unterworfenen „Wilden“. Nicht von ungefähr hat der kubanische Dichter und Musikologe Alejo Carpentier, der nur das Libretto von Vivaldis „Motezuma“kannte, der Oper einen Ehrenplatz in seiner bezaubernden Novelle „Barockkonzert“von 1974 eingeräumt. Jean-Claude Malgoire rekonstruierte 1992 die verschollene Partitur, indem er Giustis Text durch andere Musik Vivaldis unterlegte.
Donna Leon schreibt an Krimi mit
Erst 2002 tauchte eine „Motezuma“Abschrift auf, die immerhin den kompletten zweiten Akt und vom ersten und dritten jeweils ein Drittel enthält. Sie fand sich im kurz zuvor wiederentdeckten Archiv der Berliner Singakademie, das die Rote Armee am Ende des Zweiten Weltkriegs als „Beutekunst“nach Kiew verschleppt hatte. Die Krimi-Autorin und Opernenthusiastin Donna Leon machte den mit ihr befreundeten Dirigenten Alan Curtis darauf aufmerksam. Curtis ließ den Torso durch den Vivaldi-Spezialisten Alessandro Ciccolini ergänzen und spielte diese Fassung ein.
Damit war der Krimi um Vivaldis Dramma per musica jedoch noch nicht zu Ende. Die Berliner Singakademie erhob Anspruch auf das Urheberrecht und klagte gegen Aufführungen, bis der Bundesgerichtshof 2009 diesem Fall von Tantiemen-Piraterie ein Ende setzte. Curtis’ und Ciccolinis Version wird nun auch in Ulm gespielt.
Fünf von sechs Rollen – davon drei von männlichen Protagonisten – sind hier mit Frauen besetzt. Lediglich die Titelpartie wird von einem Sänger bestritten. Martin Gäbler konnte krankheitsbedingt bei der Premiere als Motezuma allerdings nur szenisch auftreten. Für ihn sang der exzellente David Pichlmaier vom Staatstheater Darmstadt neben der Bühne und rettete so die Vorstellung. Julia Sitkovetsky als arroganter Fernando, Christianne Bélanger als hasenfüßiger Ramiro, I Chiao Shih als resolute, stimmlich präsente Mitrena und Helen Willis als zierliche Teutile meistern Vivaldis belkantistische Herausforderungen eindrucksvoll. Maria Rosendorfsky begeistert als flinker, koloraturensicherer Asprano mit brillant ausgesungenen Kantilenen und liefert sich in einer Arie ein konzertantes Paradeduell mit dem virtuosen Solotrompeter.
Michael Weiger leitet das agil und transparent aufspielende Orchester mit Umsicht und übernimmt auch das erste Cembalo. Die Generalbassgruppe profitiert nicht zuletzt von Jan Gruters zauberhaft improvisierten Lauteneinwürfen.
Die Inszenierung beginnt im Madrider Nationalmuseum (Bühne und Kostüme: Mona Hapke). Vitrinen zeigen Plastiken und Vasen, an Wänden hängen Schlachtengemälde und Teppiche, auf Sockeln stehen Aztekenstatuen mit exotischen Federkleidern. Zur Vernissage gibt es Häppchen und Sekt. Doch die „toten“Figuren werden auf einmal wach und mischen sich unter die Besucher. Humorvolle Verfremdung bewahrt gleichwohl den Ernst der Handlung.
Der zweite Akt führt vor ein UNTribunal, der dritte zeigt nach gescheiterter Vermittlung verbrannte Erde. Zum aufgezwungenen Frieden wachsen Logos internationaler Konzerne aus dem Boden. Motezuma macht nur gute Miene zum bösen Spiel.