Invasion der süßen Fratze
Museum Biberach beleuchtet die Darstellung von Kindern in der Kunst Oberschwabens
BIBERACH - Kindergesichter, wohin das Auge blickt. Auf würdevolle Porträts folgen schelmische Darstellungen, fröhliche Spielszenen wechseln sich mit ernsten Momenten beim Arbeiten ab. Die einen sind mit Rüschen und Häubchen zurecht gemacht, die anderen kommen barfuß und in Lumpen daher. Kindheit einst und heute hat viele Gesichter. Eine neue Ausstellung im Museum Biberach zeigt unter dem Titel „Kinder“, wie sich die Art ihrer Darstellung in der Kunst Oberschwabens in den vergangenen 200 Jahren geändert hat. Kurator Uwe Degreif ist eine abwechslungsreiche Schau gelungen.
Früher mussten Kinder im Haushalt und auf dem Feld mithelfen. Sobald sie geschlechtsreif waren, galten sie als heiratsfähig. Das änderte sich erst mit der Aufklärung und dem Aufstieg des Bürgertums Anfang des 19. Jahrhunderts. Es genügte nicht mehr, dass Jüngere einfach Ältere nachahmten. Eine gezielte Ausbildung, vorher das Privileg von Adel und wenigen Bürgern, wurde mit der Schulpflicht flächendeckend.
Auf der Suche in der Region
Brave Schüler im Klassenzimmer oder auf dem Pausenhof sucht man in Biberach vergeblich. Erst als die Fotografie aufkommt, finden sich in Oberschwaben Klassenbilder. Auch Kinder in alltäglichen Situationen wie etwa beim Essen oder bei der Toilette finden sich nicht. Uwe Degreif war darüber zunächst enttäuscht. „Dafür habe ich andere Dinge entdeckt“, erzählt er. Viele große Familien zum Beispiel und Kinder mit Tieren, von der Katze bis zur Kuh. Typisch für die Region sind ländliche Szenen, urbane Situationen sind eher selten zu finden. .
Rund 90 Arbeiten von 50 Künstlern aus Oberschwaben sind in der Ausstellung versammelt, wobei der Schwerpunkt auf Malerei und Grafik liegt. Nur ein kleiner Teil stammt aus den eigenen Beständen des Museums, der Rest sind Leihgaben. Aufgeteilt in zwölf Themen beleuchtet der Rundgang Aspekte, auf die Degreif bei seinen Recherchen gestoßen ist. Dazu gehören auch Krankheit und Tod. Und die Langeweile. Hinzu kommen Möbel und Spielsachen wie zum Beispiel eine Kuh auf Rädern, die die einstige Besitzerin heiß geliebt haben muss, so abgegriffen wie das Tier aussieht. Die kleinen Museumsbesucher können übrigens selber kreativ werden.
Die Invasion der süßen Fratze ist dramaturgisch geschickt gruppiert. Statt historisch mit Porträts aus Ahnengalerien einzusteigen, geht es mit Darstellungen los, die Emotionen auslösen. Das macht neugierig, das ist unterhaltsam. Von Albert Burkart ist etwa ein Ball spielendes Geschwisterpaar zu sehen, von Kathrin Landa ein kleines Mädchen, das sich als Prinzessin verkleidet hat. Berührend wirkt das Kind am Herd, das Sepp Mahler in düsterem SchwarzBlau festgehalten hat, niedlich der herausgeputzte Knabe mit Hund von Johann Baptist Pflug. Andere Aspekte stimmen eher nachdenklich. Beispielsweise der monströse Teddybär von Nikolaus Mohr oder das Mädchen von Erwin Henning, das verträumt aus dem Fenster in die Winterlandschaft schaut. Ganztagsschule und digitale Kommunikationsmedien lassen heutzutage beim Nachwuchs immer weniger das Gefühl von Langeweile aufkommen. Die Alpträume dagegen nehmen bei der Bilderflut zu.
Erst am Ende füllen die üblichen Kinderbildnisse eine ganze Wand. Darunter sind zwei entzückende Porträts aus dem Jahr 1817 des gebürtigen Biberachers Johann Friedrich Dieterich: ein Junge und ein Mädchen. Kinder des Barons Emil von
Maucler. Sie sieht aus wie eine kleine Braut und hat ein Blumengesteck in den Händen, er kommt mit seinem Fernrohr fast schon staatsmännisch daher. Bei ihr ist der Hintergrund rosa, bei ihm hellblau.
Die Zeiten haben sich geändert. „Das Repräsentative verliert zugunsten des Individuellen“, erklärt Uwe Degreif. Aus den Erwachsenen en miniature werden Kinder mit Hoffnungen und Ängsten – und vor allem mit eigenen Vorstellungen.