Ein Ort als Symbol für Fremdenhass
25 Jahre nach den Anschlägen von Rostock steigt die Zahl rechtsextremer Gewalt
ROSTOCK (KNA) - Viele haben die Bilder noch vor Augen: An einem Samstagabend vor 25 Jahren versammeln sich rund 2000 Menschen vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen. Molotowcocktails fliegen auf den Plattenbau mit dem markanten Sonnenblumen-Mosaik auf der Fassade. „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“skandieren die Täter, während zahlreiche andere tatenlos zusehen oder sogar applaudieren.
Im Laufe des Wochenendes wächst die Menge weiter an. Rechtsextreme aus ganz Deutschland kommen hinzu, während die wenigen Polizisten vor Ort machtlos sind. Der Teil des Sonnenblumenhauses, in dem 150 vietnamesische Arbeiter untergebracht sind, wird von den Tätern in Brand gesteckt. Während die eingeschlossenen Bewohner in Todesangst ausharren, behindern viele Schaulustige die Einsatzkräfte. Erst am Mittwoch beruhigt sich die Lage, es ist der 26. August.
Mehr rechtsextreme Gewalt
Etwa 200 Polizisten sind am Ende verletzt. Es gleicht einem Wunder, dass niemand ums Leben gekommen ist. Die Fernsehbilder erschüttern schon damals die Republik, Lichtenhagen wird zum Symbol für Fremdenhass in Ostdeutschland. Rund 40 Angreifer wurden 1992 und 1993 zu Haftstrafen von bis zu dreieinhalb Jahren verurteilt. Zehn Jahre nach den Ausschreitungen erhielten drei ehemalige Skinheads Bewährungsstrafen – erstmals wegen versuchten Mordes. Damit war zumindest juristisch ein Schlussstrich gezogen.
Auch 25 Jahre nach den Anschlägen gehören Hetze gegen Ausländer und brennende Flüchtlingsheime in Deutschland nicht der Vergangenheit an: Als 2015 so viele Asylbewerber wie lange nicht mehr in die Republik strömten, kam es zu zahlreichen Ausschreitungen, etwa in den ostdeutschen Städten Heidenau oder Freital. Der jüngste Bericht des Verfassungsschutzes registriert eine steigende Zahl rechtsextremer Gewalt.
Rassismus-Forscherin Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein sagt, Argumentationen der neuen Rechten sickerten zunehmend in die gesellschaftliche Debatte. Küpper warnt vor einem Gewöhnungseffekt mit Blick auf bestimmte Begriffe und rechte Gewalt.
Spiritanerpater Franz Moldan kann sich 25 Jahre später noch gut an die Ereignisse vom Sommer 1992 erinnern. Der 65-Jährige ist Flüchtlingsbeauftragter der katholischen Pfarrei in Rostock. „Dummheit“und „mangelnde Zivilcourage“erkennt er bei der Bevölkerung und den Behörden von damals. Neben den Tätern und der umstehenden Menge kritisiert er auch die Polizei, die sich in seinen Augen viel zu passiv verhalten habe. Aber: „Was im Fernsehen nicht gezeigt wurde, ist, dass sich Nachbarn für die Flüchtlinge eingesetzt haben“, sagt Moldan. Anwohner hätten den Opfern geholfen, aus dem brennenden Haus zu entkommen.
Angst, dass sich die Ereignisse von 1992 wiederholen könnten, hat Moldan dennoch nicht: „Ein Großteil der Rostocker ist nicht gegen Flüchtlinge eingestellt – bis auf wenige Ausnahmen, die es überall gibt.“
Knapp 3000 Flüchtlinge leben heute in der gut 200 000-EinwohnerStadt, das sind 1,5 Prozent. Einige wohnen laut Moldan in unmittelbarer Nähe des Sonnenblumenhauses. Gerade dort erlebe Moldan heute große Offenheit: „Die Leute wollen zeigen: Wir sind nicht mehr so wie damals.“Zudem gibt es Hilfsprojekte für Flüchtlinge. Moldan selbst repariert mit Schülern alte Fahrräder und gibt sie an Migranten weiter. Und vielen Zuwanderern hat er bereits einen Ausbildungsplatz vermittelt.
Die Wahrnehmung, dass die Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland größer als im Westen sei, teilt Moldan nicht. „In meiner Heimat, im Rheinland, treffe ich viel häufiger auf fremdenfeindliche Gesinnungen als hier in Rostock.“Er wolle aber nichts schönreden: „Natürlich gibt es Rechtsextremismus, aber die Anhänger treten nicht mehr so groß in der Öffentlichkeit auf.“Selbst die Pegida-Demonstrationen fänden in Rostock seit einiger Zeit nicht mehr statt.
Auf große Öffentlichkeit hofft die Stadt stattdessen bei ihrer Gedenkwoche, mit der sie von heute an bis zum 26. August an die Ereignisse vom August 1992 erinnert. Zahlreiche Kunstaktionen und Diskussionen sind geplant.