Warum in die Ferne schweifen? – In Deutschland Urlaub machen
Das vielleicht größte aller Klischees in unseren bewegten Zeiten ist doch dieses: Reisen bildet. Wer weitgereist ist, ein nobler, weltoffener Mensch sein. Ach ja, schön wär’s. Vermutlich stammt diese Hoffnung noch aus jenen fernen Zeiten, als der olle Goethe reiste, um seinen Horizont zu erweitern und von diversen Musen geküsst zu werden. Dank Billigflieger und Business-Spesenrittertum ist heute leider zigfach bewiesen, dass jeder Idiot in jede beliebige Ecke der Welt reisen kann – um wundersamerweise genauso dämlich und engstirnig zurückzukehren, bereichert nur um ein paar gefälschte Designerklamotten und die Borniertheit des vermeintlich Weltläufigen. Gebildet haben sich auf dem Miles&More-Trip aber höchstens ein paar Herpesbläschen. Danke bestens. Nicht dass Entdeckerdrang abzulehnen wäre. Keinesfalls! Aber für viele von uns beginnt das Neuland schon an der Gemeindegrenze, nicht am Amazonas.
Man muss ja nicht gleich barfuß durch Deutschland wandern, wie Aldo Berti (siehe oben), um Abenteuerliches zu erleben. Dank der Deutschen Bahn, die sich bekanntlich eine Nonchalance zugelegt hat, wie man sie früher aus südländischen Sehnsuchtsländern kannte, gerät auch eine Reise in die Lüneburger Heide leicht zum Abenteuer-Trip mit bewusstseinserweiternder Wirkung.
Um zu begreifen, dass der Himmel überall blau ist, braucht man nicht um die Welt zu reisen.“Sagte einst der von uns so verehrte Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe. Der Alte hat zwar in vielem, aber eben nicht in allem Recht. Außerdem reiste er doch selbst um die halbe Welt! Fläzte sich mitten in der römischen Campagna lässig auf marmornen Stein und ließ sich dabei auch noch von Meister Tischbein malen! Ganz nach dem Motto: Sieh, gemeine Welt, wo ich weile! Angeberischer geht’s ja wohl kaum. War’s ihm in seinem schnuckeligen Weimar etwa langweilig? Hatte er gar genug von deutschen Mädels und liebäugelte mit feurigen Signorinas? Wir wissen es nicht. Nur so viel: Reisen bildet! Nicht umsonst gilt unser Goethe als kluger Kopf. Natürlich hat auch Deutschland schöne Ecken. Jede Menge sogar. Doch die zu besuchen funktioniert (hoffentlich) auch noch im hohen Alter. Karibik, Kenia, Khao Lak aber verlangen eine gute körperliche Konstitution, Abenteuerlust und einen gefüllten Geldbeutel. Für Rentner alles nicht mehr so ganz selbstverständlich. Und das mit dem blauen Himmel hat in den letzten Sommern in Deutschland ja auch nicht mehr so richtig geklappt. Doch versprochen: Ich schicke keine angeberischen Postkarten oder lass mich gar am Seychellen-Strand malen.
Das Abenteuer beginnt hinter dem nächsten Hügel. Von Petra Lawrenz