VfB Stuttgart kämpft sich an die Spitze
Der VfB ist nach dem 3:3 wieder Spitzenreiter, liegt gegen Dynamo aber zuerst 0:3 hinten
STUTTGART (dpa) - Obwohl er seit nun vier Spielen sieglos ist, hat der VfB Stuttgart den Sprung an die Tabellenspitze der 2. Fußball-Bundesliga geschafft. Nach einer beeindruckenden Aufholjagd erkämpfte sich der VfB am Sonntag gegen Dynamo Dresden nach einem 0:3-Rückstand ein 3:3 und zog an Union Berlin vorbei auf Rang eins. Den Ausgleich erzielte Simon Terodde per Foulelfmeter in der Nachspielzeit.
STUTTGART - Manchmal trügen die Gefühle. Lange waren sie weg, plötzlich sind sie wieder da, das ist bei Fußballtrainern nicht anders als bei weniger berühmten Menschen. „Das ist gefühlt hundert Jahre her“, sagt Stuttgarts Hannes Wolf, als er vor der Partie gegen Dresden auf die 0:5-Packung im Hinspiel angesprochen wurde. Und dann? Stand es nach 26 Minuten 0:3, und Wolf war an der Linie außer sich über das Déjà-vu. Der VfB hatte es geschafft, in insgesamt 106 Minuten gegen die Fußball-Weltmacht Dresden eine 0:8-Bilanz zu erzielen. Da kann man mal sauer sein.
Nach dem 3:3 am Ende allerdings wusste beim VfB keiner mehr so richtig, ob er nun glücklich oder wütend auf sich sein soll. Man hatte immerhin Moral bewiesen, wie es im Fußball gerne heißt, Charakter also, weitergemacht, weitergespielt, weitergekämpft, 21:5 Torschüsse erzielt und 10:1 Ecken. Sich auch von vier Lattentreffern nicht frustrieren lassen, ehe Simon Terodde in der vierten Minute der Nachspielzeit per Foulelfmeter den verdienten Ausgleich erzielte. Stuttgarts Spieler entschlossen sich deshalb, zufrieden mit sich zu sein. „Der Spielverlauf ist der Wahnsinn. Auch wenn es blöd klingt: Ich dachte schon vor der Pause, dass wir die bessere Mannschaft sind“, sagte Terodde. „Wir hätten sogar gewinnen können“, fand Verteidiger Timo Baumgartl.
Wolf allerdings war immer noch bedient. „Eigentlich war es ein geiles Spiel – für alle anderen“, sagte er, und hatte nicht ganz unrecht. Denn während sich die 58 000 in der ausverkauften Mercedes-Benz-Arena und die Massen im Fernsehen ziemlich amüsiert haben dürften ob des Offensivspektakels, konnte Wolf als Trainer nicht zufrieden sein. Wie schon beim 1:1 gegen Bochum luden die Stuttgarter den Gegner 30 Minuten lang durch Passivität und fehlende Aggressivität in der Deckung zum Toreschießen ein – mit dem Unterschied, dass der Ligafünfte Dresden den Freiraum auch nutzte. Ähnlich wie der VfB in Terodde hat auch Dynamo einen Herrscher und Torjäger im Strafraum: Stefan Kutschke. Der 28-Jährige schoss alle Dresdner Tore: Das schnelle 0:1 nach klugem Querpass von Niklas Kreuzer (4.), das 0:2 (22.) nach Flanke des ExStuttgarters Philip Heise. Und, nachdem ihn VfB-Torwart Mitch Langerak am Rand des Strafraums übermotiviert gefällt hatte, auch das 0:3 (26.). Vierzehn Saisontore hat Kutschke jetzt, aber besonders glücklich sah er nach dem Spiel nicht aus: „Wenn du drei Tore schießt und das Spiel nicht gewinnst, ist es komisch.“Sein kleines Scharmützel mit Terodde – im Vorbeilaufen zeigte Kutschke seinem 88erJahrgänger drei Finger, für jedes Tor einen – hatte sich jedenfalls nicht gelohnt. „Wir hatten eine kleine Debatte. Ich fragte ihn: Na, wer hat heute denn die drei Tore gemacht? Aber nächstes Mal“, räumte Kutschke ein, „macht er sie vermutlich wieder.“
Tatsächlich zeigte Schützenkönig Terodde zum x-ten Mal, wie wichtig er für Stuttgart ist. Erst erzielte er auf technisch feine Art den Anschluss, am Ende zeigte er beim brillant geschossenen Elfmeter, seinem 17. Saisontor, imposante Nervenstärke. Das 2:3 hatte der argentinische Linksverteidiger Insúa erzielt, nach wunderbarem Dribbling. „Nach der Pause hat sich die größere Klasse des VfB durchgesetzt“, bilanzierte Kutschke, genau diese Klischees, die man seit Jahren über Stuttgart hört, bringen Wolf allerdings auf die Palme. „Alle sprechen von individueller Qualität, aber dazu gehört auch, gegen den Ball zu sprinten, und das haben wir nicht getan. Das gilt vor allem für die jungen Spieler. Da müssen wir über die Mentalität reden. Wer Qualität haben will, muss alle Facetten des Spiels beherrschen. “
Sonst wird er nicht erstklassig werden. Zwar ist der VfB kurioserweise trotz vier sieglosen Spielen in Folge wieder der Anführer des ziemlich herumrumpelnden Quartetts an der Zweitligaspitze. Zittern um den Aufstieg muss er dennoch, zumal nun Derbys bei Gegnern anstehen, die gegen den Abstieg kämpfen: das kleine am Mittwoch bei 1860 München, das große am Sonntag gegen den Erzrivalen Karlsruher SC. Sein wieder mal neu entworfenes defensives Mittelfeld, in dem der Ghanaer Ebenezer Ofor neben Anto Grgic sein Debüt gab, und die Innenverteidigung, in der Baumgartl und Kaminski Kutschke nie in den Griff bekamen, sollte sich Wolf noch einmal anschauen, wenn er auch mal ein gutes Gefühl, also ein geiles Spiel für sich haben will.