Hunderte Tote in Mocoa
Bestürzung nach Unwetterkatastrophe in Kolumbien
MOCOA (dpa) - Schlammlawinen und Überschwemmungen haben in der südkolumbianischen Stadt Mocoa mehr als 230 Menschen getötet. Heftiger Regen hatte drei Flüsse zu reißenden Strömen anwachsen lassen. Über Berghänge schossen Wasserund Schlammmassen in die Stadt. 17 der 40 Wohnviertel wurden beschädigt, Häuser mitgerissen oder unter Geröllmassen begraben.
Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos sagte eine Kuba-Reise ab, reiste nach Mocoa und rief den Katastrophenfall aus. Er beorderte viele Soldaten zur Nothilfe in das Gebiet. Rund 2500 Helfer waren am Sonntag im Einsatz. Sie müssen damit rechnen, noch deutlich mehr Tote bergen zu müssen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach den Opfern in Kolumbien ihr Mitgefühl aus. Die Kanzlerin sei bestürzt von den Bildern und dem unermesslichen Leid der Menschen vor Ort, hieß es.
MOCOA (dpa) - Wo bisher Häuser standen, haben riesige Steinbrocken alles zermalmt, die Masten des Elektrizitätswerks sind umgeknickt wie Streichhölzer. Die Heimsuchung kam in der Nacht, der Schlaf wurde für viele Menschen zur tödlichen Falle. Mocoa, eine beschauliche Stadt am Fuße der kolumbianischen Anden, gegründet 1563 von Gonzalo Avendaño, erlebt an diesem ersten Aprilwochenende seine schwärzesten Stunden.
Es begann mit ungewöhnlich heftigem Regen, umliegende Flüsse wurden zu reißenden Fluten, es bildete sich eine Schlamm- und Wasserlawine, die von den Berghängen auf die Kleinstadt niederging. Stündlich werden die Opferzahlen nach oben korrigiert, Kolumbiens Staatspräsident Juan Manuel Santos hat eine Kubareise abgesagt, er bestätigte vor Ort 112 Tote, bald sind es 150, dann mehr als 200. „Wir wissen nicht, wie viele es werden.“In kurzer Zeit sei in der Nacht zum Samstag mehr als 30 Prozent des Regens gefallen, der sonst in einem Monat falle. Santos hat den Katastrophenzustand verhängt.
Auch Retter unter den Opfern
Soldaten retten eingeklemmte Menschen aus den Ruinen, tragen alte Frauen huckepack aus zerstörten Häusern. Der kleine Kevin erzählt, wie das Haus kurz nach Mitternacht anfing zu schwanken, er und seine Familie retteten sich über die Terrasse – dann brach das Haus zusammen. Ein Polizist wird vom Strom mitgerissen, als er gerade versucht, eine Zwölfjährige zu bergen, beide ertrinken.
„Das ist eine Tragödie von unvorstellbarem Ausmaß“, sagt Sorrel Aroca, Gouverneurin der Region Putumayo. Es gibt keinen Strom und kein Trinkwasser, Handys werden per Autobatterien geladen, um mit Angehörigen per Telefon das Leid zu teilen.
Wie konnte es dazu in der 40 000Einwohner-Stadt kommen? In der Nacht zum Samstag setzten heftige Regenfälle ein, nichts Ungewöhnliches für diese Jahreszeit, aber die Mengen waren außergewöhnlich. Das Wasser schoss die Hänge herunter und ließ die Flüsse rasend schnell anschwellen.
Umweltexperten sehen vor allem die Abholzung an den Berghängen und die Ansiedlung an Flussufern als Gründe für die Katastrophe. Auch der Klimawandel begünstige die zunehmenden Wetterextreme. Im Nachbarland Peru kam es zuletzt zu wochenlangen Überschwemmungen mit 101 Toten.
Kurz vor Mitternacht sei er von lautem Krachen aufgeweckt worden, als Schlamm, Felsen und Wasser ganze Viertel unter sich begruben, erzählt der Anwohner Evaristo Garcés. Er und seine Angehörigen haben überlebt, weil sie auf einem Hügel wohnen. Im Morgengrauen sah er verzweifelte Menschen zu den Bergen laufen, schmutzig, weinend, das wenige Gerettete auf den Schultern.
Erinnerungen an Vulkanausbruch
Alexander López schaffte es gerade noch rechtzeitig in der Nacht mit seiner Familie aus dem Haus zu fliehen. Er nahm seine dreijährige Tochter Sarita auf den Arm, mit seiner Frau und der 13 Jahre alten Tochter Karen lief er fünf Minuten lang um sein Leben, den Hang hinauf. Auf halbem Weg riss das Wasser Karen weg. Alexander brachte seine Frau und die kleine Tochter in Sicherheit, lief zurück und konnte Karen aus dem Wasserstrom ziehen. Hinter ihnen verschwand gerade ihr Haus.
In Kolumbien werden sofort Erinnerungen an das nationale Trauma wach. „Mocoa ist ein kleines Armero“, sagt der Überlebende Orlando Dávila. Armero, das ist heute wohl das größte Massengrab, durch das eine Schnellstraße führt, auf dem Weg von Bogotá nach Manizales. Vorbei an Hunderten weißen Holzkreuzen mit dem Todesdatum 13. November 1985.
Auch hier kam die Katastrophe über Nacht. Der 5390 hohe Vulkan Nevado del Ruiz brach aus, Lava ließ die Eiskappe schmelzen und löste eine Schlammlawine aus, die rund 25 000 Menschen tötete. Das Bild des in den Schlammmassen qualvoll sterbenden Mädchens Omaira Sánchez ging um die Welt.
Mocoa wurde nicht komplett ausgelöscht, aber die Folgen werden lange nachwirken. Staatschefs aus aller Welt und Papst Franziskus zeigten sich bestürzt.
Für einen Eklat sorgt hingegen der kolumbianische Senator Daniel Cabrales von der konservativen Partei Centro Democrático, die das Friedensabkommen mit der Farc-Guerilla bekämpft. Er macht angeblich zurückgelassenen Sprengstoff für die Tragödie verantwortlich. Inzwischen hat er seine Äußerungen zurückgezogen.