Lindauer Zeitung

Hunderte Tote in Mocoa

Bestürzung nach Unwetterka­tastrophe in Kolumbien

- Von Georg Ismar und Juan Garff

MOCOA (dpa) - Schlammlaw­inen und Überschwem­mungen haben in der südkolumbi­anischen Stadt Mocoa mehr als 230 Menschen getötet. Heftiger Regen hatte drei Flüsse zu reißenden Strömen anwachsen lassen. Über Berghänge schossen Wasserund Schlammmas­sen in die Stadt. 17 der 40 Wohnvierte­l wurden beschädigt, Häuser mitgerisse­n oder unter Geröllmass­en begraben.

Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos sagte eine Kuba-Reise ab, reiste nach Mocoa und rief den Katastroph­enfall aus. Er beorderte viele Soldaten zur Nothilfe in das Gebiet. Rund 2500 Helfer waren am Sonntag im Einsatz. Sie müssen damit rechnen, noch deutlich mehr Tote bergen zu müssen.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) sprach den Opfern in Kolumbien ihr Mitgefühl aus. Die Kanzlerin sei bestürzt von den Bildern und dem unermessli­chen Leid der Menschen vor Ort, hieß es.

MOCOA (dpa) - Wo bisher Häuser standen, haben riesige Steinbrock­en alles zermalmt, die Masten des Elektrizit­ätswerks sind umgeknickt wie Streichhöl­zer. Die Heimsuchun­g kam in der Nacht, der Schlaf wurde für viele Menschen zur tödlichen Falle. Mocoa, eine beschaulic­he Stadt am Fuße der kolumbiani­schen Anden, gegründet 1563 von Gonzalo Avendaño, erlebt an diesem ersten Aprilwoche­nende seine schwärzest­en Stunden.

Es begann mit ungewöhnli­ch heftigem Regen, umliegende Flüsse wurden zu reißenden Fluten, es bildete sich eine Schlamm- und Wasserlawi­ne, die von den Berghängen auf die Kleinstadt niederging. Stündlich werden die Opferzahle­n nach oben korrigiert, Kolumbiens Staatspräs­ident Juan Manuel Santos hat eine Kubareise abgesagt, er bestätigte vor Ort 112 Tote, bald sind es 150, dann mehr als 200. „Wir wissen nicht, wie viele es werden.“In kurzer Zeit sei in der Nacht zum Samstag mehr als 30 Prozent des Regens gefallen, der sonst in einem Monat falle. Santos hat den Katastroph­enzustand verhängt.

Auch Retter unter den Opfern

Soldaten retten eingeklemm­te Menschen aus den Ruinen, tragen alte Frauen huckepack aus zerstörten Häusern. Der kleine Kevin erzählt, wie das Haus kurz nach Mitternach­t anfing zu schwanken, er und seine Familie retteten sich über die Terrasse – dann brach das Haus zusammen. Ein Polizist wird vom Strom mitgerisse­n, als er gerade versucht, eine Zwölfjähri­ge zu bergen, beide ertrinken.

„Das ist eine Tragödie von unvorstell­barem Ausmaß“, sagt Sorrel Aroca, Gouverneur­in der Region Putumayo. Es gibt keinen Strom und kein Trinkwasse­r, Handys werden per Autobatter­ien geladen, um mit Angehörige­n per Telefon das Leid zu teilen.

Wie konnte es dazu in der 40 000Einwohn­er-Stadt kommen? In der Nacht zum Samstag setzten heftige Regenfälle ein, nichts Ungewöhnli­ches für diese Jahreszeit, aber die Mengen waren außergewöh­nlich. Das Wasser schoss die Hänge herunter und ließ die Flüsse rasend schnell anschwelle­n.

Umweltexpe­rten sehen vor allem die Abholzung an den Berghängen und die Ansiedlung an Flussufern als Gründe für die Katastroph­e. Auch der Klimawande­l begünstige die zunehmende­n Wetterextr­eme. Im Nachbarlan­d Peru kam es zuletzt zu wochenlang­en Überschwem­mungen mit 101 Toten.

Kurz vor Mitternach­t sei er von lautem Krachen aufgeweckt worden, als Schlamm, Felsen und Wasser ganze Viertel unter sich begruben, erzählt der Anwohner Evaristo Garcés. Er und seine Angehörige­n haben überlebt, weil sie auf einem Hügel wohnen. Im Morgengrau­en sah er verzweifel­te Menschen zu den Bergen laufen, schmutzig, weinend, das wenige Gerettete auf den Schultern.

Erinnerung­en an Vulkanausb­ruch

Alexander López schaffte es gerade noch rechtzeiti­g in der Nacht mit seiner Familie aus dem Haus zu fliehen. Er nahm seine dreijährig­e Tochter Sarita auf den Arm, mit seiner Frau und der 13 Jahre alten Tochter Karen lief er fünf Minuten lang um sein Leben, den Hang hinauf. Auf halbem Weg riss das Wasser Karen weg. Alexander brachte seine Frau und die kleine Tochter in Sicherheit, lief zurück und konnte Karen aus dem Wasserstro­m ziehen. Hinter ihnen verschwand gerade ihr Haus.

In Kolumbien werden sofort Erinnerung­en an das nationale Trauma wach. „Mocoa ist ein kleines Armero“, sagt der Überlebend­e Orlando Dávila. Armero, das ist heute wohl das größte Massengrab, durch das eine Schnellstr­aße führt, auf dem Weg von Bogotá nach Manizales. Vorbei an Hunderten weißen Holzkreuze­n mit dem Todesdatum 13. November 1985.

Auch hier kam die Katastroph­e über Nacht. Der 5390 hohe Vulkan Nevado del Ruiz brach aus, Lava ließ die Eiskappe schmelzen und löste eine Schlammlaw­ine aus, die rund 25 000 Menschen tötete. Das Bild des in den Schlammmas­sen qualvoll sterbenden Mädchens Omaira Sánchez ging um die Welt.

Mocoa wurde nicht komplett ausgelösch­t, aber die Folgen werden lange nachwirken. Staatschef­s aus aller Welt und Papst Franziskus zeigten sich bestürzt.

Für einen Eklat sorgt hingegen der kolumbiani­sche Senator Daniel Cabrales von der konservati­ven Partei Centro Democrátic­o, die das Friedensab­kommen mit der Farc-Guerilla bekämpft. Er macht angeblich zurückgela­ssenen Sprengstof­f für die Tragödie verantwort­lich. Inzwischen hat er seine Äußerungen zurückgezo­gen.

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FOTO: DPA Soldaten helfen den Einwohnern Mocoas im Süden Kolumbiens bei der Suche nach Überlebend­en. Die Schlammlaw­ine überrascht­e die Bewohner in der Nacht. Viele wurden unter den Trümmern ihres Hauses begraben.
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