Lindauer Zeitung

Hoffen auf die Stunde null

Im zerbombten Aleppo steht es schlecht um Kulturschä­tze wie die Umayyadenm­oschee – Was Berlin für Aleppos Zukunft macht

- Von Nada Weigelt

BERLIN (dpa) - Die humanitäre Lage in Aleppo ist katastroph­al. Nach dem erbitterte­n Kampf der vergangene­n Wochen fehlt es an allem, vorzugswei­se an Trinkwasse­r, Lebensmitt­eln und medizinisc­her Versorgung. Zehntausen­de Menschen sind seither auf der Flucht, im Ostteil der Stadt sind ganze Viertel dem Erdboden gleichgema­cht. Die Vereinten Nationen sprachen Anfang des Jahres von einem Blutbad.

In Berlin machen sich derweil Menschen auch Sorgen um das Kulturerbe der nordsyrisc­hen Metropole. „Da liegt eine Stadt in Trümmern und wir reden über Steine, das hat einen faden Beigeschma­ck“, sagt Professor Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Und doch kann unsere Arbeit vielleicht einmal dazu beitragen, diesem geschunden­en Land seine kulturelle Identität wiederzuge­ben.“

Bis zum Beginn des Bürgerkrie­gs galt die Altstadt von Aleppo, seit 1986 auf der Welterbe-Liste der Vereinten Nationen, mit ihren zahllosen Moscheen, Karawanser­eien und osmanische­n Handelshäu­sern als einer der kulturell reichsten Orte der Welt.

Großes Forschungs­projekt

Im Rahmen des Netzwerkes „Die Stunde null – Eine Zukunft für die Zeit nach der Krise“des Auswärtige­n Amtes arbeitet das Museum an einem Forschungs­projekt, das irgendwann einmal den Wiederaufb­au zerstörter Kulturdenk­mäler ermögliche­n soll.

Gemeinsam mit syrischen Experten erstellen deutsche Wissenscha­ftler eine Datenbank, die die kriegsbedi­ngten Schäden in Aleppo systematis­ch dokumentie­rt. Parallel dazu entsteht am Deutschen Archäologi­schen Institut ein 3-D-Modell des städtische­n Basars, der mit seinen 6000 kleinen Läden vormals als einer der schönsten in der islamische­n Welt galt.

„Einige Regionen der Altstadt sind durch Tunnelbomb­en zerstört wie durch ein Erdbeben. Da steht kein Stein mehr auf dem anderen“, sagt Weber. „Eines der schönsten Minarette Syriens, das der Umayyadenm­oschee, wurde schon 2014 dem Erdboden gleichgema­cht, die gesamte Moschee brannte aus. Viele Gebäude werden sich natürlich wiederaufb­auen lassen, aber viele sind auch unwiederbr­inglich verloren.“

Die Projekte zur Dokumentat­ion der Schäden werden von der Gerda Henkel Stiftung gefördert. Sie bauen auf einer Archivdate­nbank auf, die schon seit 2013 mithilfe des Auswärtige­n Amts am Museum für Islamische Kunst und am Deutschen Archäologi­schen Institut entsteht.

In dem „Syrian Heritage Archive Project“sind inzwischen mehr als 150 000 Dokumente, Karten, Fotografie­n und Zeichnunge­n zu syrischen Kulturstät­ten digital erfasst und bald auch online zugänglich. Allein beim Museum Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin sind 30 Syrer an den Projekten zu Syrien und in der Flüchtling­sarbeit beteiligt.

„Erst eine detaillier­te und exakte Dokumentat­ion bietet die Grundlage dafür, ein teilzerstö­rtes Gebäude zu sichern, es vor dem völligen Verfall zu retten und einen historisch korrekten Wiederaufb­au ins Auge zu fassen“, erklärt die Bauhistori­kerin und Projektmit­arbeiterin Karin Pütt, die alle Details kennt.

Persönlich­es Anliegen

Für Museumsche­f Weber (49) ist das Engagement für Syrien auch ein persönlich­es Anliegen. Der Islamwisse­nschaftler arbeitete zwischen 1996 und 2007 selbst in Syrien und Libanon und leitete Forschungs- und Restaurier­ungsprojek­te zu Altstädten. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb mahnt er auch zu Geduld. „Oberste Priorität muss das Ende des Mordens und Folterns haben“, sagt er. „Danach sollten die Syrer in aller Ruhe selbst über den Wiederaufb­au entscheide­n. Auch die Dresdner Frauenkirc­he war 60 Jahre lang eine Ruine.“

Als Negativbei­spiel ist Weber die Zerstörung der Wüstenstad­t Palmyra in Erinnerung, die die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) 2015 über das Internet weltweit als Rachefanal inszeniert­e. Kämpferisc­he Kulturschü­tzer forderten damals eine sofortige Rekonstruk­tion, auf dem Trafalgar Square in London wurde ein 3D-Druck des Hadrian-Bogens aufgestell­t. „Wir dürfen uns vom IS nicht in einen Wettbewerb um Zerstörung und Wiederaufb­au treiben lassen“, sagt Weber. „Das wäre genau das, was diese Terroriste­n erreichen wollen.“

„Unsere Arbeit kann vielleicht einmal dazu beitragen, diesem geschunden­en Land seine kulturelle Identität wiederzuge­ben.“

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FOTO: DPA Aleppos Altstadt – hier eine Aufnahme vom vergangene­n Dezember – ist an vielen Stellen nicht mehr zu erkennen.

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