Wenn der Knast zur Perspektive wird
Weisungen der „Führungsaufsicht“in den Wind geschlagen: Richter schickt 19-Jährigen ins Gefängnis
FRIEDRICHSHAFEN/TETTNANG Ein 19-jähriger Häfler ist vor Kurzem zu eineinhalb Jahren Jugendhaft ohne Bewährung verurteilt worden. Grund: Nach der Verbüßung einer mehrjährigen Jugendstrafe wurde er längere Zeit einer „Führungsaufsicht“unterstellt. Den Kontakt zur Bewährungshelferin freilich hat der junge Mann genauso schnell beendet wie er Termine bei der Polizei oder in der Weißenau in den Wind geschlagen hat. Aus erzieherischen Gründen schickt ihn ein Jugendschöffengericht in Tettnang nun erneut ins Gefängnis.
Der heute „Heranwachsende“war am Landgericht Ravensburg wegen einer „heftigen Aggressionstat“(Hussels) zu vier Jahren Jugendstrafe verurteilt worden. Der damals 14-Jährige hatte mit einer Eisenstange eine 13-Jährige töten wollen. Letztendlich hatte er vom Vorhaben abgelassen, das durch Stangenschläge schwer verletzte Mädchen dann aber sexuell genötigt und in einer Häfler Tiefgarage festgehalten.
Knapp sechs Jahre später: Solch einen Fall hatte Amtsrichter Martin Hussels erklärtermaßen „noch nie auf dem Tisch liegen“. Und selbst für Peter Lork, altgedienter Strafverteidiger, war es eine Premiere: Da sitzt ein Jugendlicher zwischen seinem 14. und 18. Lebensjahr im Jugendknast. Der Häfler büßt seine Strafe voll ab. Viel mehr als ein Hauptschulabschluss ist nach den vier Jahren aber nicht herausgekommen. Nach seiner Entlassung ignoriert er dann auf ganzer Linie richterlich gewollte Anweisungen im Zusammenhang einer verhängten „Führungsaufsicht“. Was mache man mit einem solchen Menschen, hieß die im Gerichtssaal am Mittwoch laut gestellte Frage von Staatsanwältin Diana Rupflin, Strafverteidiger Peter Lork und Martin Hussels, dem Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts. Nach einem ganzen Verhandlungstag waren sich alle einig: Aus „erzieherischen Gründen“forderte die Staatsanwältin genauso eine längere Jugendstrafe wie der Vertreter der Jugendgerichtshilfe. Und auch Peter Lork – „ich muss ja die Interessen des Angeklagten vertreten“– ging „bei der längeren Jugendstrafe mit“.
In seiner Urteilsbegründung sprach Hussels von einer Jugendstrafe, „die erzieherisch wirken soll“. Einen Realschulabschluss, der im Gefängnis erreicht werden kann, brauche eben seine Zeit. „Das ist keine Strafe zum bloßen Absitzen.“Es solle eine Zeit der Orientierung sein, zum Reflektieren, wohin der weitere Weg des jungen Mannes gehen solle. Der Grundtenor in den Plädoyers: Das Gefängnis gebe Struktur, gebe Sicherheit, die der 19Jährige draußen nicht habe. Das sah auch der Angeklagte so. Er sieht seine „nächste Zukunft im Gefängnis“, wie er feststellte. Gegen die Auflagen habe er verstoßen, weil er gleichgültig gewesen sei: „Ich war überfordert mit der neuen Lebenssituation nach vier Jahren in Adelsheim.“
Mit dieser Einschätzung war der 19-Jährige nicht allein. So sagte Anwalt Lork: „Wir betreiben hier Sozialtherapie – machen das, was vier Jahre Jugendstrafe nicht geschafft haben.“Der Richter hatte bei der Beweisaufnahme allerdings erklärt, dass sich der junge Mann „durch seine Verweigerungshaltung in der Jugendhaft einiges verbaut hat.“Das Gericht sieht also mit der erneuten Jugendstrafe „eine Perspektive“für den jungen Häfler.