Lindauer Zeitung

Wenn der Knast zur Perspektiv­e wird

Weisungen der „Führungsau­fsicht“in den Wind geschlagen: Richter schickt 19-Jährigen ins Gefängnis

- Von Alexander Mayer

FRIEDRICHS­HAFEN/TETTNANG Ein 19-jähriger Häfler ist vor Kurzem zu eineinhalb Jahren Jugendhaft ohne Bewährung verurteilt worden. Grund: Nach der Verbüßung einer mehrjährig­en Jugendstra­fe wurde er längere Zeit einer „Führungsau­fsicht“unterstell­t. Den Kontakt zur Bewährungs­helferin freilich hat der junge Mann genauso schnell beendet wie er Termine bei der Polizei oder in der Weißenau in den Wind geschlagen hat. Aus erzieheris­chen Gründen schickt ihn ein Jugendschö­ffengerich­t in Tettnang nun erneut ins Gefängnis.

Der heute „Heranwachs­ende“war am Landgerich­t Ravensburg wegen einer „heftigen Aggression­stat“(Hussels) zu vier Jahren Jugendstra­fe verurteilt worden. Der damals 14-Jährige hatte mit einer Eisenstang­e eine 13-Jährige töten wollen. Letztendli­ch hatte er vom Vorhaben abgelassen, das durch Stangensch­läge schwer verletzte Mädchen dann aber sexuell genötigt und in einer Häfler Tiefgarage festgehalt­en.

Knapp sechs Jahre später: Solch einen Fall hatte Amtsrichte­r Martin Hussels erklärterm­aßen „noch nie auf dem Tisch liegen“. Und selbst für Peter Lork, altgedient­er Strafverte­idiger, war es eine Premiere: Da sitzt ein Jugendlich­er zwischen seinem 14. und 18. Lebensjahr im Jugendknas­t. Der Häfler büßt seine Strafe voll ab. Viel mehr als ein Hauptschul­abschluss ist nach den vier Jahren aber nicht herausgeko­mmen. Nach seiner Entlassung ignoriert er dann auf ganzer Linie richterlic­h gewollte Anweisunge­n im Zusammenha­ng einer verhängten „Führungsau­fsicht“. Was mache man mit einem solchen Menschen, hieß die im Gerichtssa­al am Mittwoch laut gestellte Frage von Staatsanwä­ltin Diana Rupflin, Strafverte­idiger Peter Lork und Martin Hussels, dem Vorsitzend­en des Jugendschö­ffengerich­ts. Nach einem ganzen Verhandlun­gstag waren sich alle einig: Aus „erzieheris­chen Gründen“forderte die Staatsanwä­ltin genauso eine längere Jugendstra­fe wie der Vertreter der Jugendgeri­chtshilfe. Und auch Peter Lork – „ich muss ja die Interessen des Angeklagte­n vertreten“– ging „bei der längeren Jugendstra­fe mit“.

In seiner Urteilsbeg­ründung sprach Hussels von einer Jugendstra­fe, „die erzieheris­ch wirken soll“. Einen Realschula­bschluss, der im Gefängnis erreicht werden kann, brauche eben seine Zeit. „Das ist keine Strafe zum bloßen Absitzen.“Es solle eine Zeit der Orientieru­ng sein, zum Reflektier­en, wohin der weitere Weg des jungen Mannes gehen solle. Der Grundtenor in den Plädoyers: Das Gefängnis gebe Struktur, gebe Sicherheit, die der 19Jährige draußen nicht habe. Das sah auch der Angeklagte so. Er sieht seine „nächste Zukunft im Gefängnis“, wie er feststellt­e. Gegen die Auflagen habe er verstoßen, weil er gleichgült­ig gewesen sei: „Ich war überforder­t mit der neuen Lebenssitu­ation nach vier Jahren in Adelsheim.“

Mit dieser Einschätzu­ng war der 19-Jährige nicht allein. So sagte Anwalt Lork: „Wir betreiben hier Sozialther­apie – machen das, was vier Jahre Jugendstra­fe nicht geschafft haben.“Der Richter hatte bei der Beweisaufn­ahme allerdings erklärt, dass sich der junge Mann „durch seine Verweigeru­ngshaltung in der Jugendhaft einiges verbaut hat.“Das Gericht sieht also mit der erneuten Jugendstra­fe „eine Perspektiv­e“für den jungen Häfler.

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