Sollte man sich an Bestsellerlisten orientieren?
Die entscheidende Frage ist einfach: Soll man sich auf die berühmte Schwarmintelligenz verlassen? Hilft das, im weiten Büchermeer ans beste Lesefutter zu kommen? Denn nichts anderes versprechen Bestsellerlisten, von denen die „Spiegel“-Liste die berühmteste ist. Das Ranking orientiert sich an der Zahl verkaufter Bücher in Hunderten ausgewählter Buchhandlungen. Und das verheißt: Aus vielen guten Entscheidungen Einzelner wird die Weisheit der Masse. Klar, es ist schon manchmal recht lustig, wofür der Schwarm so schwärmt. „Darm mit Charme“? Hmpf. Die Abenteuer eines gewissen Harry Potter?! Alles so schön bunt hier! Es müssen wohl viele bunte Fischlein mitschwimmen. Als unumstößliches Qualitätssiegel ist der „Spiegel-Bestseller“Button nicht zu verstehen. Aber trotzdem lohnt sich der Blick auf die Hitliste.
Denn zum einen sind die Zeiten allgewaltiger Literatur-Päpste vorbei, die ihre Einzelmeinung zum Maßstab machten. Das ist durchaus als Gewinn zu verstehen. Und wer gern die Nase rümpft über Verlagsmarketing und Massengeschmack, sollte nicht vergessen: In den Verlagen sitzen auch Leute, die gerne lesen, und die ein bisschen etwas verstehen von zeitgeistigen Themen, guten Büchern und versierten Erzählern. Der Schwarm hat auch Charme.
Eine Bestsellerliste ist so etwas wie eine selbsterfüllende Prophezeiung. Hat es ein Buch erstmal auf eine solche Liste geschafft – inzwischen gibt es ja zig verschiedene – kann man sicher sein, dass es immer noch mehr Menschen kaufen. Wenn es so viele lesen, muss es schließlich gut sein – denkt man. Anders lässt sich der Verkaufserfolg von solch überflüssigen Titel wie „Darm mit Charme“oder „Hautnah“nicht erklären. Für den Autor ein Sechser im Lotto.
Wer also lesen will, was alle lesen, der soll ruhig einen Blick auf diese Bestsellerlisten werfen. Auch als Entscheidungshilfe für Ratlose und im Bücherwald Überforderte mögen sie ja taugen. Aber dabei kann man leider auch ganz fürchterlich angehen. Denn ein Garant für gute Literatur sind Bestsellerlisten mitnichten – sie spiegeln vielmehr den durchschnittlichen Massengeschmack wieder. So erwies sich kürzlich der Erwerb eines Titels mit dem werbenden Aufkleber „Das neue Buch der ,Spiegel’-Bestseller-Autorin“auf dem Cover als schlimmster Fehlgriff seit langem. Kitschig geschrieben war es, mit einer dämlichen Story. Dann doch lieber in der Buchhandlung seines Vertrauens herumschlendern, mal in die eine oder andere Geschichte hineinlesen und vielleicht eine Zufallsentdeckung landen.
Ruhig mal mit dem Schwarm schwimmen. von Petra Lawrenz Mit dem Massengeschmack in die Kitschfalle. von Birgit Letsche