Eine einzige Triumphfahrt
Tony Martin findet in Katar zu alter Stärke zurück und gewinnt sein viertes Zeitfahrgold
DOHA (dpa/SID) - Immer wieder schüttelte Tony Martin nach seinem sensationellen Comeback auf dem WM-Thron erschöpft, aber überglücklich den Kopf. Vorbei waren all die Selbstzweifel der vergangenen Wochen und Monate, vergessen die Strapazen beim Rennen durch die heiße Wüste Katars. Martin stand inmitten der imposanten Hochhäuser der Hauptstadt Doha und lachte nur noch. „Das war der perfekte Tag, eine Triumphfahrt von Kilometer 0 bis 40. Heute hat sich die harte Arbeit ausgezahlt“, sagte Martin, nachdem er am Mittwoch zum vierten Mal den WM-Titel im Einzelzeitfahren bei der Straßenrad-WM geholt – und so mit Rekordgewinner Fabian Cancellara (Schweiz) – gleichgezogen war.
Es war ein kaum für möglich gehaltenes Happy End für Martin; noch vor neun Wochen bei den Olympischen Spielen in Brasilien hatte er als Zwölfter ein Debakel erlebt. Doch in Doha klappte alles. „Dieser Titel macht alles vergessen, was bisher in diesem Jahr war. In meinem Inneren wusste ich, dass ich Weltmeister werden könnte“, sagte Martin und blickte zurück: „Es waren zwei schwierige Jahre, da zweifelt man an sich selbst. Es kommt der Punkt, wo man sich fragt, ob es das schon gewesen ist.“
45 Sekunden vor Kirijenka
Mitnichten. In Doha holte sich der in Kreuzlingen am Bodensee lebende Cottbuser das WM-Trikot zurück. Und wie! Mit weit aufgerissenem Mund hatte der 31-Jährige nach 44:42,99 Minuten (53,671 km/h) das Ziel erreicht und die Bestzeit vorgelegt. Die Konkurrenz kam nicht mehr heran. Vorjahressieger Wasil Kirijenka aus Weißrussland wurde mit einem Rückstand von 45 Sekunden als Zweiter gestoppt – Welten sind das im Radsport. Den dritten Platz belegte der spanische Europameister Jonathan Castroviejo Nicolas mit einem 1:10 Minuten Rückstand. Der Niederländer Tom Dumoulin, einer der Top-Favoriten, verlor gar zwei Minuten auf Martin.
Noch in Rio de Janeiro hatte Martin einen derartigen Rückstand mit sich herumgeschleppt. Eine denkwürdige olympische Niederlage – aber auch eine mit heilender Wirkung. „Es gehört zu einem Sportlerleben dazu, dass man Tiefpunkte hat. In jedem Schlechten steckt auch was Gutes“, sagte Martin, der die Lehren zog: Er rüstete seine Rennmaschine um, kehrte zur alten Sitzposition zurück, mit der er schon drei Titel eingefahren hatte. Zudem hatte sich der Wahlschweizer speziell auf die Hitze vorbereitet, machte er Training auf der Rolle vor dem Heizlüfter. In dicksten Trikots. Das war sicher hilfreich, denn auch am Mittwoch Tony Martin auf die Frage, ob es – bei 38 Grad – wohl noch ein kühles Weltmeister-Bier gebe.
herrschten wieder Temperaturen von weit über 30 Grad. Dazu war es windstill, was die Bedingungen nicht einfacher machte.
Aber Tony Martin war bestens vorbereitet. Schon bei der ersten Zwischenzeit hatte er knapp vor Kirijenka gelegen. Und der Vorsprung wuchs immer weiter an. So war nach der zweiten Zwischenzeit bei mehr als 20 Sekunden Abstand eine Vorentscheidung gefallen. Schließlich durfte Martin unter einem Sonnenschirm am TV-Monitor seinen vierten Titel nach 2011, 2012 und 2013 bejubeln, als Kirijenka mit großem Rückstand über die Linie fuhr. Er zähle „die Titel nicht, ich freue mich einfach riesig, dass ich das Regenbogentrikot wieder trage. Das gibt mir auch viel Stärke für die nächste Saison“, sagte Martin, der 2017 nach fünf Jahren bei Etixx-Quick Step für das Team Katjuscha-Alpecin fahren wird. Und: „Die WM war ein großes Ziel. Der Kurs war wie für mich gemacht. Dass ich es so umgesetzt habe, macht mich stolz.“
„Ich bin ja eher der Verfechter der Fraktion Eiscreme, weniger vom Alkohol. Ich glaube, ein schönes Eis werde ich mir heute gönnen.“