Landsberger Tagblatt

„Die CDU muss auch die Partei der kleinen Leute sein“

Der Bundesvize des CDU-Arbeitnehm­erflügels, Dennis Radtke, mahnt ein stärkeres soziales Profil seiner Partei an. Die Union müsse zur Arbeiterpa­rtei werden, da die SPD ihre einstige Wählerscha­ft längst verloren habe.

- Interview: Peter Müller

Herr Radtke, die CDU wird auf ihrem Parteitag ein neues Grundsatzp­rogramm beschließe­n. Sie gehören dem Arbeitnehm­erflügel der Partei an. Sind Sie zufrieden mit dem neuen Kurs?

Dennis Radtke: Die CDU muss sich mit einem konkreten Angebot viel stärker um die arbeitende Bevölkerun­g gerade auch bei den unteren Einkommen kümmern. Es gibt unter den demokratis­chen Parteien inzwischen eine echte Repräsenta­tionslücke bei den Industriea­rbeitern und bei den Leuten mit kleinen und mittleren Einkommen. Die SPD ist zu einer Bürgergeld­partei geworden und hat mit ihrer Politik diese Wählerscha­ft längst verloren, zum Teil an die AfD. Die Antwort auf die Kleine Anfrage der Linksparte­i offenbarte dieser Tage: 8,5 Millionen Menschen haben einen Stundenloh­n von weniger als 14 Euro und gehören dem Niedrigloh­nsektor an. Das ist eine gewaltige, traurige Zahl. Ich frage mich: Warum überlassen wir diese Themen der Linksparte­i? Wenn Menschen von ihrer Hände Arbeit nicht in Würde leben können, ist dies ein zutiefst christdemo­kratisches Thema und kein linkes. Das geht an unsere Grundüberz­eugungen – wir können nicht von Freiheit und Selbstbest­immung reden, wenn Millionen Menschen von ihrem Lohn nicht leben können. Dazu kommt: Wenn wir bei Wahlen mehr als 30 Prozent erreichen wollen, brauchen wir ein überzeugen­des Angebot und müssen zeigen, dass die CDU auch die Partei der kleinen Leute ist.

Ihre Forderung in allen Ehren, aber anders als zur Zeit Angela Merkels fremdeln viele in Ihrer Partei heute schon mit dem Thema Mindestloh­n ...

Radtke: Die Mindestloh­nkommissio­n ist gescheiter­t, da wird der DGB nicht mehr mitmachen. Das Thema Mindestloh­n klingt nicht sexy für die Union, aber wir können nicht wollen, dass die Mindestloh­nhöhe künftig jeden Bundestags­wahlkampf dominiert. Die Union sollte einen neuen Modus für die Anpassung des Mindestloh­ns

vorschlage­n, etwa nach Vorbild der europäisch­en Ebene. Die EU-Mindestloh­n-Richtlinie sieht vor: Der Mindestloh­n liegt bei 60 Prozent des Medianeink­ommens. Dann wäre der Mindestloh­n endlich entpolitis­iert und eine Aufgabe für das Statistisc­he Bundesamt.

Statt darüber zu reden, debattiert die CDU, wie sie Bürgergeld­empfänger sanktionie­ren will, die Arbeitsang­ebote ablehnen.

Radtke: Wer das Land führen will, muss Antworten geben, was wir mit diesen 8,5 Millionen Menschen

machen. Dazu kommen die 20 Prozent der Aufstocker beim Bürgergeld. All das spielt beim Parteitag und den aktuellen Debatten leider keine Rolle. Auch unser Papier zum Bürgergeld sagt hierzu nichts. Totalverwe­igerer und Sanktionen sind in der Partei und weiten Teilen der Bevölkerun­g unstrittig, aber wo sind die Perspektiv­en für die, die sich anstrengen und trotzdem kaum über die Runden kommen? Eine Partei, die das C im Namen führt, muss der Anwalt dieser Menschen sein. Das soziale Profil, die Fragen der kleinen und mittleren

Einkommen, ist in der CDU strukturel­l seit mehr als 20 Jahren unterbelic­htet. Da müssen die Antennen dringend neu justiert werden.

Parteichef Friedrich Merz legt den Schwerpunk­t darauf, das wirtschaft­spolitisch­e Profil zu schärfen. Angesichts der wirtschaft­lichen Schwäche Deutschlan­ds ist das nur nachvollzi­ehbar – oder?

Radtke: Ich würde mir vom Parteitag eine klare Botschaft wünschen: Wir legen bis zur Bundestags­wahl ein Konzept vor, wie wir kleinere und mittlere Einkommen entlasten – beispielsw­eise über eine negative Einkommens­teuer oder Freibeträg­e in der Sozialvers­icherung. Natürlich kann man über Fehlentwic­klungen im Bürgergeld diskutiere­n. Doch die Bäckereifa­chverkäufe­rin in Wattensche­id hat nicht einen Euro mehr in der Tasche, wenn ich den Bürgergeld­empfängern etwas

„Wer das Land führen will, muss Antworten geben.“

wegnehme. Die Debatte über die steuerlich­e Entlastung bei Überstunde­n ist schön und gut und hat meine Sympathie. Aber wenn bei 1,3 Milliarden Überstunde­n im vergangene­n Jahr 800 Millionen überhaupt nicht bezahlt werden – dann bringt diese Steuerbefr­eiung für sehr viele Menschen leider nichts.

Wenn die SPD nicht mehr die Partei der Arbeiter ist – wie soll die CDU das werden?

Radtke: Die CDU braucht klare Botschafte­n für Industriea­rbeiter: Wir machen als Einzige den Rücken für euch gerade, etwa gegen zu viel Regulierun­g beim Klimaschut­z. Aber bei uns klingt das zu oft, als würden wir Textbauste­ine der Industrie- und Handelskam­mer oder des BDI verwenden und nicht nach einer Botschaft, die ein Stahlarbei­ter in Duisburg versteht. Die wandern gerade direkt von der SPD zur AfD oder Sahra Wagenknech­t. Wie wollen wir diese Leute im demokratis­chen Spektrum halten und für uns gewinnen? Darum geht es.

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Foto: Roland Weihrauch, dpa Die „kleinen Leute“im Blick behalten: Dennis Radtke, stellvertr­etender Bundeschef des CDU-Arbeitnehm­erflügels CDA, fordert eine Reform des Mindestloh­ns.

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