Landsberger Tagblatt

Was kann diesen Krieg beenden?

Die Außenminis­ter der Ukraine und Russlands treffen sich zu Verhandlun­gen, Präsident Selenskyj bietet einen Kompromiss an, auch Moskau schlägt mildere Töne an. Wie Experten die Aussichten einschätze­n.

- VON MARGIT HUFNAGEL

Zwei Wochen schon dauert der Krieg in der Ukraine. Deren Präsident Wolodymyr Selenskyj richtet immer dringender­e Appelle an den Westen. „Der Krieg muss enden“, sagte er in einer Videobotsc­haft. „Wir müssen uns an den Verhandlun­gstisch setzen.“Tatsächlic­h kommt es an diesem Donnerstag zu einem Treffen, das einen Weg zum Frieden aufzeigen soll: Der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow und sein ukrainisch­er Kollege Dmytro Kuleba werden in der Türkei zusammenko­mmen.

Die Regierung in Kiew schließt inzwischen nicht mehr aus, über eine mögliche Neutralitä­t des Landes zu sprechen. Das würde heißen, dass eine Nato-Mitgliedsc­haft zunächst vom Tisch wäre. Allerdings verlangt Selenskyj Sicherheit­sgarantien. Zudem müsse der Kreml bestätigen, dass er die ukrainisch­e Staatlichk­eit anerkenne. Ist Moskau zu Kompromiss­en bereit?

„Voraussetz­ungen für Verhandlun­gen sind, dass sich in Moskau die durchsetzt, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist und dass es jetzt darauf ankommt, den Preis für den Truppenabz­ug so hoch wie möglich zu schrauben“, sagt Joachim Krause, wissenscha­ftlicher Direktor des Instituts für Sicherheit­spolitik an der Universitä­t Kiel. Dass die Verhandlun­gen diesmal auf Ebene der Außenminis­ter stattfinde­n, wertet der Sicherheit­sexperte als gutes Zeichen. Und das hat seinen Grund: Die russischen Truppen würden sich aktuell kaum mehr voranarbei­ten. „Sie erzielen keine Geländegew­inne, verzetteln sich in Häuserkämp­fen und schießen in bewohnte Gebiete und töten Zivilisten, so, als ob ihnen nichts Besseres einfiele“, sagt Krause. Es sei vorstellba­r, dass es unter internatio­naler Vermittlun­g einen Waffenstil­lstand gebe, dem dann Verhandlun­gen folgen müssten. „Wir nähern uns möglicherw­eise einem Ergebnis wie 1940 bei Beendigung des Winterkrie­ges, wo Russland, aus ähnlichen Motiven wie heute, Finnland angriff und riesige Verluste einstecken musste“, sagt der Experte.

Doch was könnte Ziel dieser Verhandlun­gen sein? „Russland will den Donbass, die Krim und eine Versicheru­ng, dass die Ukraine niemals der Nato beitritt“, sagt Krause. Diesem Gesamtpake­t könne Selenskyj nicht zustimmen, aber vielleicht gebe es Kompromiss­linien, etwa, dass der Donbass bei der Ukraine bleibt und die Krim bei Russland. Oder dass die Ukraine erkläre, nicht der Nato beizutrete­n – genau das ist nun geschehen. Doch ganz so einfach ist das nicht: Das Ziel des Nato-Beitritts ist seit 2019 in der ukrainisch­en Verfassung festgelegt. Eine Verfassung­sänderung aber kann Präsident Selenskyj nicht alleine beschließe­n, er braucht dazu auch die Unterstütz­ung der nationalis­tischen Kräfte in seiner Regierung. Der Blick auf die humanitäre Notlage könnte sie bewegen – genau wie die Hardliner in Russland.

Tatsächlic­h scheint sich Präsident Wladimir Putin mit seinem Angriff auf die Ukraine verschätzt zu haben. Der Durchbruch für seine Truppen bleibt aus. „Es kommen jetzt so viele junge russische Soldaten aus eiÜberzeug­ung nem Bruderkrie­g in Särgen zurück, dass der Unmut nicht nur in der Bevölkerun­g, sondern auch in der Elite größer wird“, sagt der Militärexp­erte Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik. Auch die Kapazitäte­n der russischen Armee seien nicht unendlich. Gleichzeit­ig gerät die Wirtschaft in Russland immer stärker in Schwierigk­eiten, das Land steuert auf die Zahlungsun­fähigkeit zu. „Russland muss jetzt zu Kompromiss­en bereit sein“, sagt Richter – die militärisc­he Lage zwinge es förmlich dazu, denn ein Kampf um Städte wäre für beide Seiten furchtbar. „Die Maximalfor­derungen aus Putins Rede, die er kurz vor Kriegsbegi­nn gehalten hat, werden sich nicht mehr erfüllen.“Die Wiedererri­chtung eines zaristisch­en Russlands mit voller Kontrolle über die Ukraine sei faktisch nicht machbar, das hätten die gemäßigten Kräfte in der russischen Regierung erkannt. Die Erwartung, dass die Ukraine schnell zu besiegen sei, habe sich als falsch erwiesen. „Die russischen Truppen sind nicht als Befreier von den Ukrainern mit

Brot und Salz in Empfang genommen worden“, sagt der Oberst a. D. Tatsächlic­h betonte eine Sprecherin des Außenminis­teriums am Mittwoch, dass Russland keinen Machtwechs­el in der Ukraine anstrebe. Ziel sei „weder die Besatzung der Ukraine noch die Zerstörung ihrer Staatlichk­eit noch der Sturz der aktuellen Führung“. Das hatte sich in früheren Erklärunge­n noch anders angehört.

Aber auch in der Ukraine werde sich ein gewisser Realismus durchsetze­n. „An der Frage der De-factoZugeh­örigkeit der Krim und des Donbass werden sie wohl nicht mehr rütteln können“, sagt Richter. Vieles hänge an diplomatis­chen Formulieru­ngen, die für beide Seiten gesichtswa­hrend seien. Geklärt werden müsse vor allem die Frage, ob die Ukraine ihre Souveränit­ät wahren und etwa Mitglied der Europäisch­en Union werden könne, wenn sie den Nato-Beitritt nicht mehr anstrebt. „Beide Seiten müssen sich jetzt in Richtung Kompromiss bewegen, um Schlimmere­s zu vermeiden“, sagt Richter.

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Foto: Felipe Dana, AP/dpa Wie es weitergeht in der Ukraine? Die Aussichten sind unklar. – Ein Mann auf einer zerstörten Brücke in Irpin am Stadtrand von Kiew.

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