Giga und gaga
Vor den Toren Berlins will Elon Musk, reichster Mann der Welt, schon ab dem Sommer das Elektro-Auto Tesla bauen lassen. In rasantem Tempo entsteht dort ein riesiges Werk, die „Gigafactory“. Riesig, sagen die Kritiker, ist auch der Raubbau an der Natur
Grünheide Das saubere Autofahren beginnt im Dreck. Es stiebt und staubt und scheppert. Arbeiter schwitzen auf ödem Land, sobald der Frühling ein paar Sonnenstrahlen nach unten schickt. Riesige Kräne und schwere Bagger bewegen ungeheure Massen von Erde, Sand und Beton. Sie müssen ranklotzen. In wenigen Monaten schon soll auf diesem Flecken Erde südlich von Berlin die neue automobile Leichtigkeit in Serie produziert werden. Freude am Fahren ohne Abgase und schlechtes Gewissen.
Die grauen Hüllen dreier enorm großer Hallen stehen schon massig da. Tesla will sich beweisen, dass es noch immer eines der schnellsten Unternehmen der Welt ist. Deutschland will sich beweisen, dass es noch Zukunft kann, zumindest die nahe. Die Desaster um den Berliner Flughafen, Stuttgart 21 und die Pandemiebekämpfung per Faxgerät haben das Selbstbild zerkratzt.
Deshalb schieben und drücken die Mächtigen in Berlin und Potsdam, damit dieses Werk für Elektro-Autos fertig wird. Es trägt den Namen Gigafactory – giga von gigantisch. „Alle wissen, was an diesem Projekt für das Land, für die Region, für ganz Deutschland hängt“, sagt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke.
Der SPD-Mann hat seine Behörden angewiesen, das Projekt mit der höchsten Priorität zu behandeln. Es geht um 12000 neue Arbeitsplätze direkt im Werk. Wenn alles fertig ist, könnten es bis zu 40 000 werden.
Tesla-Chef Elon Musk vertraut den Deutschen. Er ist Fan von Berlin. Und wenn die Fabrik schon nicht in der Hauptstadt stehen kann, dann eben an ihrem Rand.
Dafür verbaut Musk Milliarden Euro in den märkischen Sand, ohne eine finale Baugenehmigung in den Händen zu halten. Wenn die Behörden am Ende doch noch Nein sagen sollten, müsste er die Investitionsruine auf eigene Kosten abreißen lassen. Doch für den Mann, der zum Mars fliegen und Touristen auf den Mond bringen will, ist das irdischer Kleinkram. Eigentlich sollen im Juli die ersten Teslas aus dem Werkstor fahren. Nach 18 Monaten Bauzeit. Letztes Jahr reckten noch Kiefern ihre dünnen Kronen in den Himmel. Dann kamen die Männer mit den Kettensägen, fällten tausende Stämme und rissen die Wurzeln aus.
Der US-Konzern hält offiziell an seinem Zeitplan fest, doch er ist ins Rutschen geraten. Der Bauleiter wurde gefeuert. Aber selbst wenn es am Ende zwei Jahre dauern würde, wäre es für deutsche Verhältnisse Überschallgeschwindigkeit. Zum Vergleich: In Deutschland dauert es mindestens fünf Jahre, bis ein Windrad aufgestellt ist. Meistens sind es sechs Jahre oder sieben.
BMW brauchte für sein Werk in Leipzig vier Jahre. Um die Fabrik hatte sich zur Jahrtausendwende auch Grünheide beworben. Den Zuschlag bekamen die Sachsen, die Fläche aber blieb für Industrie reserviert. Schon zu DDR-Zeiten standen dort große Lagerhallen. Die
Stasi plünderte dort Westpakete, so genannte Irrläufer. Mielkes Spitzel konnten sich in einem Ferienlager in den Wäldern erholen.
Die unverhoffte zweite Chance will Brandenburg nutzen, eine dritte käme wahrscheinlich nicht. Deshalb biegen alle paar Minuten schwer beladene Kipper in die Tesla-Straße ein, die zur Baustelle führt. Eingesetzt werden auch Traktoren, die Anhänger ziehen. Die Fahrer haben Kippen im Mundwinkel und deuten den an der Baustellenzufahrt postierten Wachleuten ein Nicken an. Betreten verboten.
Tesla saugt die Kapazitäten der Bauindustrie um Berlin auf. Beton ist schwierig zu bekommen, erzählt ein örtlicher Unternehmer, weil die Gigafabrik so viel davon verschlingt. An ihrem Rande steht ein Dorf aus Baucontainern, hinter dem die Autos der Arbeiter stehen. Jeder fünfte oder sechste Wagen hat ein Kennzeichen aus Osteuropa, aus Polen, der Slowakei oder dem Baltikum.
Mehrere hundert Mann schaffen von früh bis spät an und in den Betonhüllen. Das schätzt der Bürgermeister von Grünheide, Arne Christiani. Genaue Zahlen sind nicht zu bekommen. Tesla hält sich bedeckt, schweigt geradezu zu der Großfabrik, die sein Brückenkopf in Europa werden soll.
Große Dinge künden im Kleinen. Im Rathaus von Grünheide kann man jetzt Kühlschrankmagnete mit der Aufschrift Tesla kaufen. Der Netto-Markt am Rande des Dorfes sucht Mitarbeiter und verzichtet auf Motivationsschreiben und Lebenslauf. Bewerbung binnen 60 Sekunden im Internet. Das steht auf einer Tafel vor dem Markt. Es wirkt, als versuchte das Unternehmen, mit dem Tesla-Tempo mitzuhalten.
Über den Parkplatz schieben an diesem Vormittag Rentnerpärchen die Einkaufswagen. Genau ein Tesla steht zwischen den Autos von VW, Opel, BMW, Ford und den Japanern. Sein Fahrer hat sich eine Zigarette angesteckt und telefoniert. Rote Haare, roter Bart. Er ist noch jung, kommt aus England und arbeitet im Vertrieb der Amerikaner. Er hat Lust auf eine Plauderei. Klar sei es eine Ansage, in das Land von Daimler, Volkswagen und BMW zu gehen. In seinem Team überlegen sie manchmal, ob sie Leute von den deutschen Autobauern abwerben sollen. „Das sind gute Leute, die im Zweifel mehr Ahnung haben von Autos als wir“, erzählt er. Was sie aber nicht wollen, ist das Behördliche, das Behäbige, das hundertfach Rückversicherte der Deutschen. „Wir haben nur eine Chance: Innovation und Geschwindigkeit.“
Doch ohne die Industriebeamten aus der deutschen Autoindustrie wird es nicht gehen. Auf dem Jobportal Linkedin stehen knapp 1000 Stellenangebote der Amerikaner. Gesucht wird alles, was mit der Produktion von Autos zusammenhängt: Lackierer, Gießereimeister, Mechaniker, Instandsetzer, Ingenieure, Flottenmanager, Softwareentwickler und ein Werksarzt. Die Marke strahlt nicht so hell, wie ihr Gründer Elon Musk es gewohnt ist. Dass sich im Osten nicht genügend Personal auftreiben lässt, wäre eine besondere Ironie der Geschichte.
Tesla plant, die Fertigung mit 7000 Vollzeitstellen anzufahren. Ungelernte Arbeiter sollen am Band im Monat 2700 Euro brutto verdienen, Fachkräfte 3500 Euro. Für den Osten ist das ein Hammergehalt, wie es der Chef der Arbeitsagentur in Frankfurt/Oder ausdrückt. Tesla setzt auch auf Personal aus dem nahen Polen, wo der Durchschnittsverdienst bei rund 850 Euro liegt. Ein Ingenieur bei Tesla verdient nach einer Auswertung des Arbeitgeberbewertungsportals Kununu 70 000 Euro brutto im Jahr, bei VW oder Daimler bekommen erfahrene Kräfte schnell 25000 Euro mehr. Hinzu kommen Weihnachts- und Urlaubsgeld, was es bei den Kaliforniern nicht gibt. Tesla beteiligt seine Mitarbeiter hingegen mit Aktien am eigenen Unternehmen.
Einer, der Musks Ruf gefolgt ist, ist der Ingenieur Stefan Schwunk. Er arbeitete 13 Jahre für Daimler und wechselte zu Tesla. Er machte das in einem Online-Video öffentlich und sorgte damit für eine kleine Sensation. „Das, was ich in den letzten Jahren bei der Behörde Daimler erlebt habe, das sind richtig langwierige Prozesse“, sagt Schwunk über die Stuttgarter. „Bis man dann eine Entscheidung trifft, geht das durch drei oder vier Instanzen durch.“Innovation ja, Geschwindigkeit nein.
Um und in Grünheide gibt es ein kleines Häufchen, das hätte nichts dagegen, wenn es etwas deutscher zuginge. Wenn die Kalifornier mit ihrem rastlosen Takt nicht alle kritischen Regungen überrollen würden. Aus dem Häufchen ragt eine Stimme prominent heraus. Sie gehört der Sängerin Julia (früher Jule) Neigel. Mit „Schatten an der Wand“wurde sie bekannt. Seit zwei Jahren singt sie bei der Ost-Band Silly, nachdem sich die Musiker im Schlechten von ihrer Frontfrau Anna Loos trennten. Silly hat in einem der Örtchen unweit von Grünheide ein Studio.
„Ich kam hierher und dachte: Gott, ist das schön“, erzählt Neigel. Sie hat sich in die Idylle im Süden der Hauptstadt verliebt mit ihren Wäldern, Seen und kleinen Flüssen, die manchmal eher Bäche sind. Am
Telefon hört man eine Künstlerin, die nicht nur schwärmt, sondern erstaunlich tief in Akten und Anträgen drin ist.
Neigel hat Zeit, seit einem Jahr kann sie wegen Corona nicht auftreten. Meistens ist die Sängerin zu Hause in Ludwigshafen, weit weg vom Osten. Dennoch lässt sie nicht los, was dort passiert. „Wenn ich Anwohnerin wäre, ich würde sofort klagen“, sagt sie. Und dann zählt sie auf, es schießt förmlich aus ihr heraus. Dass der Wald keine Kiefernplantage war, sondern wertvoller Lebensraum für Fledermäuse. Dass Tesla angefangen hat, die Bäume zu schlagen, ohne die Einspruchsfrist abzuwarten. Dass der grüne Umweltminister Brandenburgs alles mitmacht. Dass das Werk mitten in einem Trinkwasserschutzgebiet errichtet wird.
Wasser ist tatsächlich der wunde Punkt. Das Werk säuft. Es verbraucht so viel wie eine Kleinstadt mit 30000 Einwohnern. Tesla braucht Wasser für das Lackieren, die Gießerei und die geplante Batterieherstellung und natürlich Löschwasser, wenn es brennt. In den drei letzten Hitzesommern war die Spree zu einem Rinnsal verkommen. Der sandige Boden hält wenig Feuchtigkeit. Der Wald brannte. Streusandbüchse nannte Fontane seine Heimat. Der Wasserverband Strausberg-Erkner sah die Trinkwasserversorgung gefährdet, hat schließlich aber dennoch eingelenkt.
Es ist dieser Eindruck, der Neigel wütend macht. Dass Bedenken einfach mit Druck von oben weggewischt werden. „Man hat fast den
Im Werk sollen zunächst 12 000 Jobs entstehen
Die Imbissfrau wünscht sich Rammstein zur Eröffnung
Eindruck, die Bürger haben einfach die Klappe zu halten.“
Der Widerstand und die Wut der Bürgerinitiative gegen Tesla ist nichts, was Bürgermeister Arne Christiani unruhige Nächte bereitet. Er hat nicht das Problem, dass ihm reihenweise die Bürger aufs Dach steigen. In einer Umfrage sagten vier von fünf Brandenburgern, dass sie die Gigafactory befürworten. „Und so ist die Stimmung hier, das kann ich unterschreiben.“Der Gemeinderat stimmte mit 16 zu zwei Stimmen für Tesla. Die zwei Gegenstimmen kamen von der AfD. „Aber die stimmen immer gegen alles“, sagt Christiani.
Für ihn ist die Ansiedlung die Gewähr, dass seine Gemeinde aus mehreren kleinen Dörfern und Flecken nicht vergreist. Dass Kindergärten aufgemacht werden können, statt sie zu schließen wie nach der Wende. In Spreeau, einem dieser Nester, hofft die Imbissfrau auf mehr Kundschaft. Und sie hat einen Wunsch: Elon Musk möge doch Rammstein für die Eröffnungsparty buchen. Früher ging sie zu den Kastelruther Spatzen, aber „die Schlager-Fans sind wilder als die RammsteinFans“. Für den Tesla-Chef sollte es eigentlich eine Kleinigkeit sein, die international bekannteste deutsche Band zu engagieren.
Seine Gegner hoffen darauf, dass es ihm mit seiner Gigafabrik so geht wie den namensgebenden Giganten aus der griechischen Sagenwelt. Sie wagten den Aufstand gegen die Götter und gingen unter.