Kleines Teil, große Nachfrage
Der Chipmangel in der Autoindustrie hat einmal mehr gezeigt, wie global alles mit allem zusammenhängt. Europa hinkt in der Halbleiter-Produktion hinterher. Die Politik hat das Problem erkannt. Gelöst ist es noch lange nicht
Augsburg Es geht zwar besser, die Aussichten aber bleiben ungewiss. So kann man die Situation für manchen deutschen Hersteller zusammenfassen. Die Rede ist vom Halbleiter-Mangel, der zuletzt auch die deutsche Autoindustrie lähmte und zum Beispiel bei Daimler, VW und Audi zu stehenden Fabrikbändern und Kurzarbeit führte. Inzwischen konnte die Produktion wieder hochgefahren werden. Aber bei Audi etwa werden weitere Engpässe „nicht ausgeschlossen“, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte. Und bei VW geht man den Angaben eines Konzernsprechers zufolge davon aus, dass bis Ende März die Versorgung mit Chips noch angespannt sein wird. Erst ab dann werde es „spürbar“besser. Ziel des Konzerns sei es, im zweiten Halbjahr „möglichst wieder aufzuholen“, was nicht gebaut wurde.
Halbleiter sind für Autos wichtig, weil sie in Steuergeräten, für Mikrochips oder Sensoren verwendet werden. Zuletzt gab es hierzulande zu wenig davon. Die Gründe dafür sind so komplex wie die Produktion der kleinen, feinen, aber eben eminent wichtigen Teilchen. Einer lag aber darin, dass die mehrheitlich in Asien ansässigen Produzenten während des ersten Lockdowns, als weltweit Automobilfabriken ruhten, begannen, andere Kunden zu bedienen. Vereinfacht dargestellt: Was sonst in einem deutschen Auto im Fahrassistenzsystem verbaut wurde, ging nun in eine Spielekonsole oder ein Fitnessgerät. Als die Auto-Produktion dann schneller wieder anzog, standen andere Abnehmer ganz vorne in der Reihe.
Wiese, beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) Spezialist für Außenwirtschaft, erklärt, dass wegen der vielschichtigen Produktion vom Auftragseingang bis zur Auslieferung „mindestens drei Monate“vergehen. Die Architektur der in der Automobilindustrie nachgefragten Chips sei in der Regel „hochkomplex“. Der derzeitige Mangel ist vor allem Symptom eines größeren und für die von Corona beschleunigte Digitalisierung bedeutsamen Problems. Denn, sagt Wiese: „Halbleiter sind nicht nur die Basis für alle künftigen digitalen Technologien und Game-Changer in der etablierten Wirtschaft. In den vergangenen Jahren wurden sie zunehmend Gegenstand von internationalen Handelskonflikten. Darüber hinaus haben Deutschland und Europa in den vergangenen Jahrzehnten einige Kompetenzen in solchen Bereichen verloren, in denen Unternehmen in Asien und den USA die Marktführerschaft erlangt haben. Diese technologische Abhängigkeit auf dem Gebiet der Mikroelektronik führt zu Nachteilen.“Die Forderung: „Europa muss sich souverän aufstellen.“
Das Problem ist erkannt. Im Dezember wurde eine EU-Initiative unterzeichnet, die den Kontinent mit einer Allianz in Sachen Mikroprozessoren und HalbleitertechnoLukas logien nach vorne bringen soll. Luft nach oben ist noch: 2019 befanden sich nach Angaben des Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) 73 Prozent der gesamten Kapazität in Asien. Weshalb der Verband einen „Masterplan pro Mikroelektronik“fordert. Im Bundeswirtschaftsministerium hat man zugehört. Deutschland beteiligt sich an dem nächsten europäischen Großverfahren, das die hiesige Industrie fördern soll. Deutschland und Europa sollen bei Mikroelektronik und Kommunikationstechnologien „souveräner und unabhängiger“von Importen werden.
Beim größten deutschen Halbleiter-Hersteller
Medizin
Infineon, der jüngst starke Quartalszahlen präsentieren konnte, „begrüßt“man die Initiative. Denn: „Die Mikroelektronik ist ein Schlüssel für die Bewältigung von Klimawandel und digitaler Transformation.“Zugleich weist das Unternehmen auf Anfrage aber auch darauf hin, dass bei allem wichtigen Streben nach mehr technologischer Souveränität die Halbleiterindustrie global sei und von Skaleneffekten lebe. Die Unternehmen in der EU arbeiteten auf dem Weltmarkt mit anderen Markteilnehmern zusammen. „Ein losgelöstes Blockdenken macht in einer vielfach verbundenen multilateralen Wirtschaftswelt wenig Sinn.“