Die Vertreibung aus dem Paradies
Die biblische Geschichte geht so: Adam und Eva essen vom Baum der Erkenntnis, müssen darum den Garten Eden verlassen und sich fortan mit Mühsal vom Acker nähren. Archäologen und Frühhistoriker erzählen eine ganz ähnliche Geschichte. Auch sie berichten von (nicht nur) einem Garten Eden und von einem eher unfreiwilligen Abschied aus paradiesischen Zuständen. Allerdings machen sie nicht in erster Linie einen zornigen Gott für die Vertreibung verantwortlich, sondern den Klimawandel.
Der amerikanische Historiker David Christian, ein führender Kopf des Bill-Gates-Projekts „Big History“, das Geschichts- und Naturwissenschaften verbindet, schildert diesen Garten Eden als das Paradies der Jäger und Sammler. Die lange Eiszeit hatte sich vor etwa 20 000 Jahren verabschiedet, das wärmere Klima bescherte den Menschen vor allem im Nahen Osten eine wunderbare Fülle an Pflanzen, Früchten und Tieren, die sich ohne allzu große Mühe sammeln und jagen ließen. Den Menschen blieb Zeit, das Leben zu genießen, sich abends beim Feuer Geschichten zu erzählen, zu malen und wohl auch zu singen und zu tanzen. Die Bewohner dieser Paradiese – es gab sie auch in Südasien und später in Amerika – waren dank des vielfältigen Speisezettels ziemlich gesund und guter Dinge.
Wer verlässt schon freiwillig ein so feines Jäger- und Sammlerleben? Leider funkte ihnen vor rund 12000 Jahren eine kurze, aber bittere Eiszeit dazwischen und vertrieb sie in eine andere, beschwerlichere Richtung: in den Ackerbau. Schon als Sammler hatten die Paradiesbewohner gelernt, dass man nahrhafte Pflanzen durch Pflege und Auslese noch nahrhafter machen konnte. Aber wozu die Mühe im allgemeinen Überfluss? Jetzt aber, schreibt David Christian, begannen die Menschen notgedrungen mit der Landwirtschaft. Diese Vertreibung aus dem Paradies hatte Folgen: schwere Arbeit, einseitige Ernährung, mehr Krankheiten. Das Leben wurde härter. War’s das? Natürlich nicht. Eine neue Warmzeit meldete sich an, und die einst zögerlichen Landwirte entfalteten ein ganz neues Kapitel der Menschheitsgeschichte: Es entstanden große Dörfer, Städte, Staaten, neue Techniken, neue Formen der Kunst und Kultur. Ohne die Vertreibung aus dem Paradies wäre dieser Aufstieg der Menschheit kaum möglich gewesen. Also ein Glück im Unglück?