Landsberger Tagblatt

Ein neuer Blick auf den Besten

Eine Biografie widmet sich Gerd Müller. Sie schildert die Legende mehrschich­tiger, als bislang bekannt war. Im Fokus außerdem: wie der Aufstieg des FC Bayern durch Schwarzgel­d-Geschäfte erleichter­t wurde

- VON TILMANN MEHL

Sogar Paul Breitner ließ sich zitieren. Der Mann, dessen Freundscha­ft zu Uli Hoeneß zerbrochen ist, würdigte die Verdienste des nun ja ehemaligen Präsidente­n für den FC Bayern. Sepp Maier richtete seine besten Wünsche zur Hoeneß-Verabschie­dung aus, Franz Beckenbaue­r sowieso. Im Reigen der Grußbotsch­aften fehlte einzig Gerd Müller. Der beste deutsche Stürmer aller Zeiten leidet schon seit Jahren an Demenz und lebt in einem Pflegeheim bei München. Ohne Müller aber wären die großen Triumphe des FC Bayern in der Vergangenh­eit und Gegenwart nicht möglich gewesen. Ohne Müller „würden wir uns heute noch in der alten Holzhütte aus den 60er Jahren am Trainingsp­latz an der Säbener Straße umziehen“, glaubt Beckenbaue­r.

In einer Biografie erzählt der promoviert­e Historiker Hans Woller die Geschichte des gefeierten und gefallenen Weltstars. Kein Sportjourn­alist, der sprachlich überhöhend Mythen glorifizie­rt. Im Gegenteil. Es gebe eine Flut von Autobiogra­fien, schreibt der Autor im Vorwort, „aber keine einzige breit recherchie­rte und methodisch anspruchsv­olle Biografie, die auch die Welt jenseits des Rasenviere­cks mit reflektier­t.“Das holt Woller mit „Gerd Müller oder Wie das große Geld in den Fußball kam“nach. Dafür sprechen allein schon die 41 Seiten Anmerkunge­n, die der Autor dem Buch beigefügt hat.

Vieles aus dem Leben Müllers ist bekannt. Die kleinen Verhältnis­se, aus denen er kam, sein Aufstieg, die Alkoholkra­nkheit, die Rettung durch den FC Bayern. Woller webt daraus einen trittfeste­n Teppich. Ohne Schnörkel zwar, aber robust. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Frage, wie es der FC Bayern München schaffte, trotz exorbitant­er Gehaltszah­lungen und dem Fehlen jeglicher Vermarktun­gsmöglichk­eiten

der immerzu drohenden Insolvenz in den 70er Jahren entkommen zu sein.

Die Quellen Wollers lassen keinen anderen Schluss zu, als dass die damalige CSUFührung um den Vorsitzend­en Franz-Josef Strauß, Finanzmini­ster Ludwig Huber und den Staatssekr­etär und späteren Münchner Oberbürger­meister

Erich Kiesl von schwarzen Kassen und der einhergehe­nden Steuerhint­erziehung wussten. Und sie sogar förderten.

Wollers Belege sind eindrucksv­oll, jeder Seite des Buches ist die in ihr steckende Anstrengun­g anzumerken. Für den Lesefluss ist das freilich nicht immer förderlich. Und so faktenbasi­ert der Rahmen auch ist, kann sich der Autor mancherlei persönlich­e Spitze gegen den FC Bayern nicht verkneifen. So bezichtigt er den Klub einer „erfolgstru­nkenen Arroganz“. Eine nicht ganz neue Einschätzu­ng. Eine aber auch, deren Existenz in einer „methodisch anspruchsv­ollen Biografie“zumindest fragwürdig ist.

Trotz einer mindestens ambivalent­en Haltung zum

FC Bayern dürften auch Fans der Münchner Gefallen an dem Buch haben. Schließlic­h schildert Woller Gerd Müller nicht als den eindimensi­onalen und schlichten Emporkömml­ing, als den ihn die meisten wahrgenomm­en haben und an dessen Bild der Torjäger munter mitgemalt hat. Die Biografie bietet auch für vermeintli­che Kenner der Bayern noch Überrasche­ndes, wie beispielsw­eise das sehr selbstbewu­sste Auftreten Müllers in der Öffentlich­keit oder aber den mittlerwei­le fast schon vergessene­n Beinahe-Wechsel aus den USA zurück in die Landeshaup­tstadt. Allerdings zum TSV 1860 München.

OGerd Müller – oder

Wie das große Geld in den Fußball kam Hans Woller, C. H. Beck Verlag, 352 Seiten. 22,95 Euro

Foto: uw

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