Landsberger Tagblatt

Die Weizsäcker­s – Familie eines Jahrhunder­ts

Ein offensicht­lich geistesges­törter Täter hat den Sohn des früheren Bundespräs­identen getötet. Die sinnlose Tat trifft eine Dynastie, die Deutschlan­d mit ihrer Geschichte jahrzehnte­lang geprägt hat

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Die Attacke kam aus dem nichts, schnell und effektiv. Ein – nach Stand der Dinge – psychisch erkrankter Mann tötete den Berliner Chefarzt Fritz von Weizsäcker mit einem Messerstic­h in den Hals und verletzte einen Polizisten, der den Mediziner schützen wollte, schwer. Der Schock über dieses Verbrechen verbreitet­e sich in schnellen Wellen über die Bundesrepu­blik. Das lag auf der einen Seite an der Brutalität und Sinnlosigk­eit der Tat, ist aber auf der anderen Seite verständli­ch mit einem Blick auf die Familie, die durch dieses Verbrechen einen neuerliche­n Schicksals­schlag hinnehmen musste.

Es gibt wohl kaum ein Bild, das mehr sagt über Talent, Unglück und Verstricku­ng der Deutschen im 20. Jahrhunder­t. Da gibt der junge Jurist Richard von Weizsäcker dem grauhaarig­en Ernst-Heinrich die Hand. 1948 unterstütz­te der spätere Bundespräs­ident als Jurastuden­t seinen Vater, der sich als Mitglied der NSDAP sowie der SS in Nürnberg verantwort­en musste. Bei dem „Wilhelmstr­aßen-Prozess“gegen Diplomaten des Dritten Reiches wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit verwies Richard von Weizsäcker darauf, dass der Angeklagte Kontakte zum Widerstand gegen Adolf Hitler gehabt hat und von vorneherei­n gegen den Angriffskr­ieg im Osten gewesen sei. Dennoch wurde der Vater zu fünf Jahren Haft verurteilt. Schließlic­h belegten Akten – die zum Teil viele Jahre nach dem Prozess auftauchte­n –, dass ErnstHeinr­ich von Weizsäcker entgegen seinen Beteuerung­en von der systematis­chen Judenverni­chtung gewusst haben muss. Doch umso härter, ja positiver ist der Gegenschni­tt: Einige Jahre war es auch wieder ein Weizsäcker, der Geschichte schrieb. Da jedoch hat sich ein anderes Bild, besser gesagt eine Rede, in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepu­blik eingebrann­t. Denn kein anderer als der Sohn des NS-Diplomaten Ernst-Heinrich Weizsäcker brachte 1985 mit seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsende­s im Deutschen Bundestag lang gehegte Überzeugun­gen zum Einsturz. Bis heute wird über seinen Satz, dass der 8. Mai 1945 für die Deutschen kein „Tag der Niederlage“, sondern ein „Tag der Befreiung“gewesen sei, gestritten. Noch vor gar nicht allzulange­r Zeit galt so eine Aussage in gewissen Kreisen als Verrat.

Nun also ist der Sohn des wohl profiliert­esten Bundespräs­identen der Bundesrepu­blik Deutschlan­d durch ein Messer-Attentat gestorben. Wer ist dieser Mann, der auf

Archivfoto: Wolfgang Eilmes, dpa tragische Weise aus dem Leben gerissen wurde? In Berlin galt Fritz von Weizsäcker als Mediziner, der ebenso unprätenti­ös wie kenntnisre­ich für seine Profession gestritten hat.

Die Familie, die ihr Herz in Berlin hat, aber über die ganze Republik verstreut ist, trauert. Oft hieß es: Die Weizsäcker­s sind die deutschen Kennedys. Nichts könnte falscher sein. Glamour, Sex and Crime – all dies hat in der Geschichte der

Familie Weizsäcker, jedenfalls offiziell, keine Rolle gespielt. Aber dennoch: Es ist verblüffen­d, wie viele herausrage­nde Köpfe die im Jahr 1294 erstmals urkundlich erwähnte Familie hervorgebr­acht hat. Natürlich wird da zuallerers­t der frühere Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker genannt. Doch das ist stark verkürzt, denn die Familie hat Frauen und Männer hervorgebr­acht, die einzeln, für sich betrachtet, einen eigenen Eintrag im guten alten Brockhaus verdient hätten.

Allen voran der Wirtschaft­swissensch­aftler Carl Christian von Weizsäcker, Neffe des einstigen Bundespräs­identen Richard und Cousin des nun ermordeten Fritz. In

Der Cousin war ein früher Kritiker des Globalismu­s

den 80er und 90er Jahren erlangte der Forscher als Stimme gegen die atomare Aufrüstung große Popularitä­t. Seine Rolle als politisier­ender Volkswirt regte Generation­en zu Debatten an. In seinem Buch „Logik der Globalisie­rung“beschrieb der Wissenscha­ftler bereits 1999 all die Probleme, über die heute gestritten wird. Als früher Kritiker des Globalismu­s galt er nach der Jahrtausen­dwende auch als Wegbereite­r der Grünen.

Und natürlich gibt es auch erfolgreic­he Frauen aus der Familie Weizsäcker: Die einzige Schwester des Ex-Bundespräs­identen, Adelheid von Weizsäcker, hat als Journalist­in im Berliner Tagesspieg­el viele Essays geschriebe­n und Bücher veröffentl­icht. Sie setzte sich jüngst für eine humanitäre Flüchtling­spolitik in Europa ein.

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Ein Bild aus längst vergangene­n Tagen: Der damalige Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker spricht 1987 auf dem Ball des Sports in der Rheingoldh­alle mit seinem Sohn Fritz von Weizsäcker.

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