Die Weizsäckers – Familie eines Jahrhunderts
Ein offensichtlich geistesgestörter Täter hat den Sohn des früheren Bundespräsidenten getötet. Die sinnlose Tat trifft eine Dynastie, die Deutschland mit ihrer Geschichte jahrzehntelang geprägt hat
Augsburg Die Attacke kam aus dem nichts, schnell und effektiv. Ein – nach Stand der Dinge – psychisch erkrankter Mann tötete den Berliner Chefarzt Fritz von Weizsäcker mit einem Messerstich in den Hals und verletzte einen Polizisten, der den Mediziner schützen wollte, schwer. Der Schock über dieses Verbrechen verbreitete sich in schnellen Wellen über die Bundesrepublik. Das lag auf der einen Seite an der Brutalität und Sinnlosigkeit der Tat, ist aber auf der anderen Seite verständlich mit einem Blick auf die Familie, die durch dieses Verbrechen einen neuerlichen Schicksalsschlag hinnehmen musste.
Es gibt wohl kaum ein Bild, das mehr sagt über Talent, Unglück und Verstrickung der Deutschen im 20. Jahrhundert. Da gibt der junge Jurist Richard von Weizsäcker dem grauhaarigen Ernst-Heinrich die Hand. 1948 unterstützte der spätere Bundespräsident als Jurastudent seinen Vater, der sich als Mitglied der NSDAP sowie der SS in Nürnberg verantworten musste. Bei dem „Wilhelmstraßen-Prozess“gegen Diplomaten des Dritten Reiches wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwies Richard von Weizsäcker darauf, dass der Angeklagte Kontakte zum Widerstand gegen Adolf Hitler gehabt hat und von vorneherein gegen den Angriffskrieg im Osten gewesen sei. Dennoch wurde der Vater zu fünf Jahren Haft verurteilt. Schließlich belegten Akten – die zum Teil viele Jahre nach dem Prozess auftauchten –, dass ErnstHeinrich von Weizsäcker entgegen seinen Beteuerungen von der systematischen Judenvernichtung gewusst haben muss. Doch umso härter, ja positiver ist der Gegenschnitt: Einige Jahre war es auch wieder ein Weizsäcker, der Geschichte schrieb. Da jedoch hat sich ein anderes Bild, besser gesagt eine Rede, in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik eingebrannt. Denn kein anderer als der Sohn des NS-Diplomaten Ernst-Heinrich Weizsäcker brachte 1985 mit seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes im Deutschen Bundestag lang gehegte Überzeugungen zum Einsturz. Bis heute wird über seinen Satz, dass der 8. Mai 1945 für die Deutschen kein „Tag der Niederlage“, sondern ein „Tag der Befreiung“gewesen sei, gestritten. Noch vor gar nicht allzulanger Zeit galt so eine Aussage in gewissen Kreisen als Verrat.
Nun also ist der Sohn des wohl profiliertesten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland durch ein Messer-Attentat gestorben. Wer ist dieser Mann, der auf
Archivfoto: Wolfgang Eilmes, dpa tragische Weise aus dem Leben gerissen wurde? In Berlin galt Fritz von Weizsäcker als Mediziner, der ebenso unprätentiös wie kenntnisreich für seine Profession gestritten hat.
Die Familie, die ihr Herz in Berlin hat, aber über die ganze Republik verstreut ist, trauert. Oft hieß es: Die Weizsäckers sind die deutschen Kennedys. Nichts könnte falscher sein. Glamour, Sex and Crime – all dies hat in der Geschichte der
Familie Weizsäcker, jedenfalls offiziell, keine Rolle gespielt. Aber dennoch: Es ist verblüffend, wie viele herausragende Köpfe die im Jahr 1294 erstmals urkundlich erwähnte Familie hervorgebracht hat. Natürlich wird da zuallererst der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker genannt. Doch das ist stark verkürzt, denn die Familie hat Frauen und Männer hervorgebracht, die einzeln, für sich betrachtet, einen eigenen Eintrag im guten alten Brockhaus verdient hätten.
Allen voran der Wirtschaftswissenschaftler Carl Christian von Weizsäcker, Neffe des einstigen Bundespräsidenten Richard und Cousin des nun ermordeten Fritz. In
Der Cousin war ein früher Kritiker des Globalismus
den 80er und 90er Jahren erlangte der Forscher als Stimme gegen die atomare Aufrüstung große Popularität. Seine Rolle als politisierender Volkswirt regte Generationen zu Debatten an. In seinem Buch „Logik der Globalisierung“beschrieb der Wissenschaftler bereits 1999 all die Probleme, über die heute gestritten wird. Als früher Kritiker des Globalismus galt er nach der Jahrtausendwende auch als Wegbereiter der Grünen.
Und natürlich gibt es auch erfolgreiche Frauen aus der Familie Weizsäcker: Die einzige Schwester des Ex-Bundespräsidenten, Adelheid von Weizsäcker, hat als Journalistin im Berliner Tagesspiegel viele Essays geschrieben und Bücher veröffentlicht. Sie setzte sich jüngst für eine humanitäre Flüchtlingspolitik in Europa ein.