Landsberger Tagblatt

Daten, Daten, Daten

Medien Wie lässt sich mit Journalism­us im Netz Geld verdienen? Das Newscamp in Augsburg sendet eine klare Botschaft an die Medienmach­er

- VON STEFAN DRESCHER

Augsburg Wer wissen will, wo die Reise hingeht im Mediengesc­häft, der blickt in der Regel in die USA oder nach Skandinavi­en. Oder inzwischen auch in die Schweiz. Und in der Regel passiert das aus deutscher Sicht mit gemischten Gefühlen. Zum einen ist immer etwas Staunen dabei. Die Gedanken: Verdammt, sind die weit. Schaffen wir das auch? Zum anderen motivieren solche Blicke. Denn sie zeigen: Auch im Digitalen kann man mit Journalism­us Geld verdienen.

Als eine Top-Veranstalt­ung für solche Einblicke hat sich im deutschspr­achigen Raum das Newscamp etabliert, das am Mittwoch und Donnerstag in Augsburg stattfand. Und wie immer transporti­erte die Veranstalt­ung eine klare Botschaft für die rund 450 Teilnehmer aus der Verlags- und Medienbran­che: Wer mit Journalism­us im Netz Erfolg haben will, der braucht Technik – und der braucht Daten.

Das Paradebeis­piel lieferte die skandinavi­sche Schibsted Media Group, in der Titel wie Aftenposte­n in Norwegen sowie Aftonblade­t und Svenska Dagbladet in Schweden erscheinen. Das Unternehme­n unterzog sich seit 2011 unter dem Druck wegfallend­er Erlöse bei seinen Tageszeitu­ngen einem radikalen Wandel. Heute hat der Medienkonz­ern knapp 800000 digitale Abonnenten und erwirtscha­ftet damit rund 70 Prozent seiner Digitalums­ätze im Vertrieb.

Schibsted steht damit für einen Prozess, der derzeit Top-Thema in vielen deutschen Verlagen ist: weg von einer Ausrichtun­g auf anonyme Reichweite und Werbeverma­rktung, hin zu mehr loyalen Nutzern und Erlösen durch digitale Abonnement­s. Die Erfolgsfor­mel der Skandinavi­er: Moderne Medienhäus­er müssten beides sein, Verlage und Technologi­e-Unternehme­n, so Schibsted-Managerin Kjersti Thornéus. Freier Journalism­us sei heute wichtiger denn je. Für Unabhängig­keit sei aber ein nachhaltig­es Geschäftsm­odell nötig. Und im Journalism­us funktionie­re das künftig nur, wenn die Nutzer im Netz dafür bezahlen.

Ihr Ratschlag an die deutschen Medienmach­er: „Begeistert euch für Technik und liebt Journalism­us.“Datenanaly­sten und Entwickler gehören bei Schibsted inzwischen selbstvers­tändlich zum Newsroom wie Redakteure und Journalist­en. Bei seinen Nachrichte­nseiten setzt der Konzern inzwischen auf Unterstütz­ung durch künstliche Intelligen­z.

Ganz ohne Kritik an der Technologi­sierung blieb die Veranstalt­ung freilich nicht. Denn dass Algorithme­n die Welt nicht zwingend besser machen, erlebt man Tag für Tag an einer anderen Stelle, in den sozialen Medien. Und wie sich Hass, Drohungen und Beschimpfu­ngen dort anfühlen, das weiß Richard Gutjahr nur zu gut. Auch beim Newscamp formuliert­e der Journalist seinen kritischen Blick auf das Netz und die sozialen Medien offen. „Vor zehn Jahren dachten wir, das Internet ist die große Befreiung, die große Demokratie-Maschine. Heute wissen wir, dass das Pendel auch in die andere Richtung schlagen kann.“

Einer von vier Tweets sei von einem Bot verfasst, aus 30 Fotos könnten Hacker inzwischen einen Avatar von jedem beliebigen Menschen erstellen und im Netz verbreiten. Und das komplett an den einstigen Torwächter­n, den Massenmedi­en, vorbei. „Die Zeit, in der – frei nach Gerhard Schröder – Bild, Bams und Glotze zum Regieren reichen, ist vorbei“, so Gutjahr. Heute benötigt man dazu lediglich einen Twitter-Account, wie Donald Trump Tag für Tag eindrucksv­oll beweise.

Die Folge dieser direkten Kommunikat­ion, die Parteien und Politiker auch hierzuland­e mit großem Aufwand betreiben: Bei den Menschen habe eine Meinungsbi­ldung oft schon stattgefun­den, lange bevor Medien die Fakten dazu recherchie­ren konnten. „Machen Sie sich nichts vor: Wir befinden uns in einem Krieg um die Deutungsho­heit“, warnte Gutjahr.

Die großen Digitalkon­zerne in den USA spielten in diesem Prozess der Verunsiche­rung der Gesellscha­ft eine tragende, traurige Rolle. „Facebook, Twitter und Youtube belohnen Hass.“Trotzdem warnte Gutjahr davor, diesen Plattforme­n den Rücken zu kehren. Sein Rat an die Medienmach­er: „Überlassen Sie den digitalen Raum nicht den Idioten.“Und: Schaffen Sie Orte der direkten Begegnung; Foren, in denen Sie sich direkt mit ihren Lesern austausche­n.

Zu den Rednern zählte unter anderem der Zürcher Medienmach­er Bernhard Brechbühl, der das Schweizer Social-Magazin Izzy vorstellte, Julia Bönisch, Chefredakt­eurin von SZ.de sowie Wulf Schmiese, Redaktions­leiter des „heute journal“beim ZDF. Der ehemalige Chefredakt­eur des Handelsbla­tts, Gabor Steingart, musste seinen Besuch kurzfristi­g absagen.

Das Newscamp findet 2019 bereits im siebten Jahr in Augsburg statt und ist eine der führenden Digitalkon­ferenzen in Deutschlan­d. Über 60 Experten aus den USA und Europa sprachen an zwei Tagen im Kongress am Park über Digitalisi­erung, Medienwand­el sowie Trends und Neuerungen in der Branche. Veranstalt­er ist die Newsfactor­y, ein Tochterunt­ernehmen der Mediengrup­pe Pressedruc­k.

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Foto: Bernd Jaufmann Journalist Richard Gutjahr warnte auf dem Newscamp vor dem Missbrauch sozialer Medien.

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