Wo endet die Wand, wo beginnt die Kunst?
Vernissage Das Weiß präsentiert sich im Kunstraum Stoffen und macht sich bemerkbar, ganz ohne Farbe
Stoffen Spektakulär – auf diese Formel lässt sich bringen, was der Kunstraum Stoffen Besuchern mit der Ausstellung „Weiss“derzeit bietet. Doch nicht ums Kunstspektakel, die Schau, sondern ums Schauen selbst geht es in dieser monothematisch der „Nicht-Farbe“Weiß gewidmeten Präsentation, für die in seltener Konsequenz gilt: Wen es nicht zur Kunst drängt, dem drängt sich die Kunst nicht auf.
Bedenken, mit der Farbe sei die Kunst eines so wesentlichen Merkmals beraubt, dass sie schlechterdings als solche nicht mehr gelten könne, zerstreut die glänzend von Otto Scherer kuratierte Schau mühelos. „Blanco“rücken Material, Oberfläche, Struktur, Licht und Schatten, Konstruktion und Komposition, Fläche oder Ausdehnung im Raum in den Fokus. Farbe, so zeigt sich deutlich, ist nur eines von vielen, vielleicht sogar das in seiner Bedeutung meistüberschätzte Gestaltungsmittel. Auf die von Reinhard Fritz in seiner Laudatio überspitzt formulierte Frage, ob beim Thema Weiß überhaupt noch zuverlässig auszumachen sei, wo die Wand aufhöre und wo die Kunst anfange, gibt jedes der ausdrucksstarken Exponate der insgesamt 23 teilnehmenden internationalen Künstler seine zwar ganz eigene, immer aber eindeutige Antwort.
Im regelmäßigen „Über-eins-unter-eins“schafft Peter Weber aus je vier horizontal und vier vertikal zueinander liegenden, dicken Filzstreifen eine einfache Gitterstruktur. Im Gegensatz zueinanderstehen dabei nicht nur das weiche Material und die strenge geometrische Form, sondern auch der ins Unendliche laufende Flechtrhythmus, der eingefangen wird von den Begrenzungslinien des Quadrats.
Kreide in sehr unterschiedlicher Behandlung, eingepasst jeweils in gleich große quadratische Alukästen, zeigt Reiner Seliger in seiner Arbeit „Broken cut 1“und „Broken cut 2“. Sechs auf sechs passgenau zugeschnittene Würfel im einen Rahmen stellt er lose einsortierten, unterschiedlich großen Bruchstücken im anderen gegenüber und visualisiert damit begriffliche Gegensatzpaare: Geschlossenheit versus Auflösung, Ordnung versus Chaos, Beruhigung versus Aufruhr,…
Dicht aneinandergereiht bilden Ilse Aberers zu „Himmel und Hölle“gefaltete Aquarellpapiere hinter milchigem Acrylglas hervorscheinende regelmäßige Muster aus Diagonalen, Lichtpunkten und Schattenfeldern und lassen je nachdem Kreuze oder Rauten erkennen. Mit „Four squares white“zeigt die Vorarlberger Künstlerin zudem ein mit weiß-mattem Schleiflack „versiegeltes“Wandobjekt aus Birkenschichtholz, in das sie von den vier Außenkanten her je einen das Matezwei rial komplett durchdringenden
Schnitt setzt.
Genau hinsehen muss, wer die Feinheiten der Arbeiten von John Schmitz erkennen will. Dessen Einträge mit weißem Edding-Filzstift auf weißes Papier sind teilweise nur in der Andeutung wechselnd matter (Papier) und schwach glänzender (Edding) Linien zu erkennen. Auch Karl Heinz Kappels weiße Leinwände, die eine mit Schnur beklebt, die andere mit Ölfarbe bearbeitet, geben das Geheimnis ihrer auf strenger Systematik beruhenden Schönheit erst auf den zweiten Blick preis.
Die Ausstellung „Weiss“vermeidet in beinahe provokanter Zurückgenommenheit alles Grelle und kurzweilig Unterhaltsame und setzt auf Kunstbetrachtung sehr viel mehr als auf Kunstspektakel. Gerade das macht sie so spektakulär.
Neben den genannten Künstlern stellen aus Edgar Diehl, Werner Dorsch, Leo Erb, Mark Harrington, Erica Heisinger, Roland Helmer, Péter Jecza, Gabor Kazimczy, Ralph Kerstner, Norbert Kricke, Markus Krug, Tom Mosley, Ben Muthofer, Gert Riel, Ivo Ringe, Otto Scherer, Hans Schüle und Serényi H. Zsigmond.
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Öffnungszeiten „Weiss“ist geöffnet bis 16. Dezember, immer samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr im Kunstraum Stoffen, Stadler Straße 2.
Flechtsystem in die Unendlichkeit