Der Klavier Bär und sein Meisterstück
Keiner bearbeitete die Tasten so verschroben wie Thelonious Monk, vielen galt der Jazzmusiker deshalb als lausiger Pianist. Zeit für eine Ehrenrettung – auch, weil zum 100. Geburtstag sensationelle Aufnahmen erschienen sind
Es sind diese Geschichten, die jeder Fan schon unzählige Male über ihn gelesen hat. Etwa, wenn er beim Spiel seiner Nebenleute plötzlich aufstand und ums Piano tanzte, selbstvergessen und tapsig wie ein russischer Zirkusbär. Wenn er auf der Straße, in Treppenhäusern, Hotelhallen die Arme ausbreitete und sich wie eine Zentrifuge drehte, bis ihm schwindelig wurde. Wenn er einfach nur vor sich hinstarrte, minuten-, stundenlang, auf Häuser, Bäume, bei Eiseskälte oder Gluthitze. Wenn er Journalisten drangsalierte. Sie mühten sich ab, stellten mal wohlformulierte, mal auch ziemlich dumme Fragen. Er saß einfach nur da und schwieg sie an, qualmte eine Zigarette, krächzte wenige Silben oder nuschelte kryptische Satzbrocken wie „Die Stille ist der schrillste Ton“.
Sie nannten ihn „Mad Monk“, weil er Selbstgespräche führte, wie ein Getriebener durch die Gegend irrlichterte und sich tagelang in ein einziges Stück vertiefte, unerreichbar für seine Umwelt. Ein Phänomen am Piano, introvertiert, verschroben, unberechenbar. Der sture, manisch-depressive Einzelgänger mit Alkohol- und Drogenproblemen, später dann autistischen Zügen und einer bipolaren Störung, schenkte dem Jazz eine völlig neue Ästhetik und riss ihn aus seiner swingenden Gemütlichkeit.
Doch selbst 2017, dreieinhalb Jahrzehnte nach seinem Tod 1982, weiß die Nachwelt immer noch viel zu wenig über ihn. So viel steht fest: Monk war einzigartig – in jeder Hinsicht. Nicht etwa Dizzy Gillespie oder Charlie Parker, sondern er allein erfand den Bebop. Kaum ein relevantes Jazz-Album erscheint ohne ein Monk-Stück, seine Ballade „Round Midnight“gilt als das am häufigsten adaptierte Stück des Genres, eine Art „Yesterday“des Jazz. Dabei komponierte er im Laufe seines Lebens nur 71 Themen. Duke Ellington kam auf etwa 2000.
Dennoch galt er in den Augen der meisten Zeitgenossen über Jahre hinweg als „lausiger Pianist“, Kritiker brandmarkten seine angeblich mangelhafte Technik, nannten seine Harmonien „Gruselmusik“und hielten ihn für maßlos überschätzt. Bis auf ein kurzes Zeitfenster etwa ab 1955 schlugen Thelonious Monk überwiegend Verachtung und Spott entgegen. Verquer, mit schrillen Intervallen, manischen Wiederholungen und hämmernden Trillern, mit flachen Fingern, die dicke Ringe zierten, laut, dissonant, aggressiv, so bearbeitete er die 88 schwarzen und weißen Tasten.
„Dabei wusste er genau, was er tat. Er hatte immer einen Plan. Jeder seiner Songs entwickelte sich unweigerlich zum Ohrwurm“, sagt Thelonious Sphere Monk junior, kurz T.S., in seinem New Yorker Appartement. John Coltrane, Miles Davis, Bud Powell: Alle seien sie in die kleine Zweizimmerwohnung der Monks im New Yorker Stadtteil San Juan gekommen, um sich diesen unglaublichen neuen Stil zeigen zu lassen und mit dem erworbenen Wissen über die neue Tonsprache später selbst den nächsten Schritt zu gehen. Nun will der heute 67-jährige Sohn, selbst ein renommierter JazzSchlagzeuger, den anstehenden 100. Geburtstag des legendären Pianisten am 10. Oktober nutzen, um Missachtung in Anerkennung, Respekt, posthume Liebe umzuwandeln. „Ihm ist so viel Unrecht widerfahren. Wenn ich all diese Dinge lese vom durchgeknallten Genie, dann mich das wütend. Sicher hatte er Probleme, wir wussten das als Familie am besten. Aber du kannst jeden fragen, der mit ihm zu tun hatte: Thelonious war einer der nettesten, umgänglichsten Menschen auf dem Planeten.“
In die Karten spielt T. S. Monk dabei eine Entdeckung, die Fachleute schon jetzt als Sensation feiern. 2014 fanden François Lê Xuân und
Bei den Aufnahmen war er so gut wie selten
Frederic Thomas im Nachlass des französischen Jazz-Impresarios Marcel Romano ein Kleinod: die komplette Studiosession, die Thelonious Monk im Juli 1959 als Soundtrack für den Skandalfilm „Les Liaisons Dangereuses“in New York eingespielt hatte. Die „Gefährlichen Liebschaften“gelten cineastisches Meisterwerk der Nouvelle Vague. Regisseur Roger Vadim skizzierte damit das mondäne Paris der eleganten Partys und Jazzclubs der späten fünfziger Jahre in Schwarzweiß, Monk lieferte (neben Art Blakey) den musikalischen Rahmen dazu – in seinen eigenen Farben. Entweder solo, im Trio oder im Quartett in einer der besten, aber leider auch kurzlebigsten Formationen seiner Karriere mit dem treuen Gefährten Charlie Rouse (Tenorsaxofon), Bassist Sam Jones und Drummer Art Taylor.
Als T.S. Monk die Aufnahmen zum ersten Mal hörte, fühlte er sich wie in eine Zeitkapsel versetzt. Mit einem Mal kamen all die Bilder wieder, als sie gemeinsam in den Nola Penthouse Studios saßen, Mama Nellie, seine Schwester und er, und Daddy (mit japanischem BambusKegelhut) beim Spielen zusahen. „Er war so gut wie selten zuvor oder danach. Schon allein deshalb ist diese Aufnahme etwas ganz Spezielles.“Der Junior vermutet, dass der Senior auch deshalb besonders gut sein wollte, weil es um einen französischen Film ging: „In Amerika musste er sich ständig rechtfertigen und hinterfragen lassen. Den Franmacht zosen hat er seinen Durchbruch zu verdanken!“
Die gerade erschienene DoppelCD bzw. -LP mit 50-seitigem Booklet sowie bisher nicht veröffentlichten Fotos ist eine von mehreren hell leuchtenden Kerzen auf der Geburtstagstorte. Schließlich soll das Monk-Jubiläum 2017 im großen Stil begangen werden. Bei Monk junior, der 1986 das „Thelonious Monk Institute for Jazz“ins Leben rief, laufen die Fäden zusammen. Mit Konzerten, Ausstellungen und Hommagen will er die Ehre des Vaters sukzessive restaurieren. Das Piano des Tastenmönchs steht im neu eröffneten National Museum of African American History and Culture in Washington D.C. „Außerdem besitzen wir noch über 400 Stunden unveröffentlichter Musik“, weckt T. S. den Appetit auf mehr. „Ihn zu hören, ist immer noch etwas Einzigartiges. Er klingt jedes Mal anders.“Aber immer wie Thelonious Monk.