Landsberger Tagblatt

Wenn du die Herzen erreichst, wird dir alles gelingen

In der Bühnenadap­tion des Erfolgsfil­ms „Wie im Himmel“folgt das Münchener Metropol dem Leitsatz seines Protagonis­ten. Und liegt beim Publikum damit genau richtig

- VON MINKA RUILE

Ruhm und Reichtum allein machen nicht glücklich, erkennt im Zenit seiner Karriere Stardirige­nt Daniel Daréus (Matthias Grundig) und erleidet unter dem Druck belastende­r Kindheitse­rinnerunge­n einen Zusammenbr­uch; derweil offenbart sich im schönen Klang seiner Bassstimme das verborgene Talent des geistig zurückgebl­iebenen Tore (Jakob Tögel), der nun endlich in den Chor aufgenomme­n wird, in dem auch seine Schwester Lena singt; und: Wer sich selbst nicht liebt,…, erfährt nicht nur die prüde Chorleiter­in Siv (Nathalie Schott), sondern auch der sittenstre­nge Pastor Stig (Marc-Philipp Kochendörf­er), die mit ihren ständigen Vorwürfen und Zurechtwei­sungen zunehmend ins gemeindlic­he Abseits geraten. „Wie im Himmel“, die am Samstagabe­nd im ausverkauf­ten Stadttheat­er vom Münchener Metropol auf die Bühne gebrachte Adaption des schwedisch­en Erfolgsfil­ms von Kay Pollak, steckt voller derartiger Lebensweis­heiten.

Solche in gesellscha­ftlichem Konsens erstarrten Einsichten aus ihrer plakativen Ummantelun­g herauszusc­hälen und neu dringlich zu machen, erfordert eine präzise Dramaturgi­e und fokussiert­es Schauspiel. Zudem entschiede­n sich die Münchener dazu, dem Leitsatz des Protagonis­ten zu folgen, mit dem der sich nach der Rückkehr ausgerech- net in den ungeliebte­n Ort seiner Kindheit an die Mitglieder des dortigen Kirchencho­rs wendet: „Wenn du die Herzen erreichst, wird dir alles gelingen.“Doch liegt im emotionale­n Grundtenor des vermeintli­ch leichten Bühnenstof­fs auch dessen Tücke und laufen die Schauspiel­er bei jedem „Zuviel“an Gestik und Mimik Gefahr, ins Sentimenta­le abzugleite­n.

Das vermeidet Vanessa Eckart als Lena humorvoll beispielsw­eise in ihrem aufmuntern­den „hab’ dich, hab’ dich“, als sie dem in Alltagsdin­gen fast kindlich zaghaften Daniel das Fahrradfah­ren beibringt und ihn in Sicherheit wiegt, während sie das Rad bereits losgelasse­n hat und er seine Runden ganz alleine dreht; und das droht zu kippen, wo der viel bewunderte Musiker am Ende auch als Mensch „seinen Ton“findet und sich nicht nur als das gehänselte Kind von einst zu erkennen gibt, sondern endlich ein „ich liebe dich“über die Lippen bringt. So leise hingehauch­t aber, dass eine schulmeist­ernde Lena darauf besteht, es „noch einmal“hören zu wollen, um den artig folgenden Daniel daraufhin wie einen Schuljunge­n an die Hand zu nehmen und von der Bühne zu führen. Diese Erweiterun­g aufs Mütterlich­e gibt die mit Vanessa Eckart deutlich jünger besetzte, breit angelegte Rolle der flatterhaf­ten, verletzlic­hen und gleichzeit­ig warmherzig­en und lebensklug­en Lena aber nicht auch noch her.

Eine Anleihe beim Film, indem Bühnenszen­en wie Standbilde­r plötzlich angehalten und an gleicher oder anderer Stelle neu gestartet werden, erweist sich als kluger Regieeinfa­ll, der es Dominik Wilgenbus und Jochen Schölch erlaubt, den Erzählstof­f nicht nur zu strukturie­ren, sondern stellenwei­se auch zu straffen. Zugleich nimmt das Stück in der Rhythmisie­rung immer wieder neu Fahrt auf.

Im Staccato verdichten sich Handlungsm­omente zu kurzen Erzähleinh­eiten, nie länger als für das weitere Verständni­s unbedingt nötig: Die allmählich­e Verwandlun­g einer bunt zusammenge­würfelten Gruppe selbstbezo­gener Individuen in eine fokussiert­e und harmoniere­nde Chorgemein­schaft etwa, beleuchtet in einzelnen Probeszene­n, wird auf diese Art beschriebe­n. Und auch wie der Weg in die Gemeinscha­ft nur über den Weg zu sich selbst beschritte­n werden kann, wird in ähnlicher Weise am Beispiel mehrerer Chormitgli­eder, etwa der späteren Solistin Gabriella (Judith Toth) oder des umtriebige­n Arne (Paul Kaiser), durchdekli­niert.

Zunächst wirr, dann immer zielgerich­teter kreisen die Figuren um das einzige Bühnenrequ­isit, einen schwarzen Konzertflü­gel, der zur Metapher wird für das Leben als Füllhorn – selbst Daniels schon seit Kindheit ersehntes Fahrrad lässt sich daraus hervorzaub­ern. An ihm versammeln sich die Sänger und finden im Disput mit dem Dirigenten über die Notwendigk­eit einer Kaffepause zu ihrem ersten gemeinsame­n Ton und, getragen von Tores sonorer Bassstimme, später auch ersten Akkord.

„Wenn du die Herzen erreichst“, haben die Chormitgli­eder unter ihrem Dirigenten verstanden „wird dir alles gelingen.“Und vielleicht, so ließe sich weiterdenk­en, sogar der Griff zum Himmel und, wie Kay Pollak sich das Paradies auf Erden vorstellt, „ein bestimmter Zustand unter den Menschen … ohne Angst … der jederzeit möglich ist“.

Dankbar für diese kleine Illusion des Himmels auf Erden, wenn auch nur für einen bezaubernd­en Theaterabe­nd, spendete das Publikum den Schauspiel­ern lange anhaltende­n, tosenden Applaus.

Mit dabei waren auch Lilly Forgách als Inger, die Frau des Pastors, Hubert Schedlbaue­r, Gabriellas gewalttäti­ger Ehemann Conny, Sebastian Griegel, der von allen gehänselte, dicke Holmfried sowie Astrid Polak und Dirk Bender als Olga und Erik.

 ?? Foto: Julian Leitenstor­fer ?? Ruhm und Reichtum allein machen nicht glücklich, erkennt Stardirige­nt Daniel Daréus (Matthias Grundig, im Vordergrun­d) bei der Probe mit dem Kirchencho­r und erleidet einen Zusammenbr­uch.
Foto: Julian Leitenstor­fer Ruhm und Reichtum allein machen nicht glücklich, erkennt Stardirige­nt Daniel Daréus (Matthias Grundig, im Vordergrun­d) bei der Probe mit dem Kirchencho­r und erleidet einen Zusammenbr­uch.

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