Die Frau, die nur im Freien schlafen möchte
Obdachlos Eine 71-Jährige verbringt ihre Nächte draußen – bei Wind und Wetter in einem blauen Schlafsack. In eine Wohnung will sie nicht
Den blauen Schlafsack haben viele Landsberger schon einmal gesehen: im Englischen Garten, im Wildpark oder an der Stadtmauer oberhalb der Neuen Bergstraße. Die Frau, die darin nachts bei Wind und Wetter auf Parkbänken schläft, ist stadtbekannt. Auch Polizei, Stadtverwaltung und Landratsamt kennen ihren Fall. Es sei ein besonderer Fall. Denn der 71 Jahre alten Frau sei vonseiten der Behörden durchaus Hilfe angeboten worden. Nur, sie möchte nicht in einer Wohnung schlafen, sondern im Freien.
In den vergangenen Wochen sank die Temperatur in manchen Nächten auf minus 20 Grad ab. Dennoch blieb die Frau eisern und mit ihrem Schlafsack im Freien. Das haben unserer Zeitung besorgte Bürger mitgeteilt. Einige von ihnen versorgen sie wohl regelmäßig mit Nahrung, gelegentlich sprechen sie auch mit ihr. Eine Antwort, warum die Frau nicht in einer Wohnung schlafen möchte, hätten sie aber nicht erhalten. Auch das Angebot, in einem seiner Zimmer zu schlafen, habe sie abgelehnt, sagt ein Anwohner, der beobachtet hat, dass die Frau seit den Weihnachtsfeiertagen auf einer Bank an der Stadtmauer oberhalb der Neuen Bergstraße schläft.
So mancher Passant, der die Frau in ihrem Schlafsack gesehen hat, fragt sich, warum die Behörden nicht tätig werden. Franz Kreuzer, der Pressesprecher der Landsberger Polizei, berichtet davon, dass in den vergangenen Wochen immer wieder besorgte Bürger angerufen hätten. Einschreiten werde die Polizei aber nicht, weil die Ämter dafür keine Notwendigkeit sehen würden. Er weiß aber auch, dass die Stadt der Obdachlosen bereits eine Wohnung angeboten hat. Ohne Erfolg.
Wolfgang Müller ist der Pressesprecher des Landratsamts. Auch er kennt den Fall der 71-Jährigen. Das Landratsamt habe immer wieder mit der Frau zu tun, unter anderem auch die dort angesiedelte Betreu- ungsstelle, die bei Bedarf selbst Betreuungen beim Betreuungsgericht anregen. Im Fall der Frau habe dies aber eine andere Person getan. Zuständig für die Anordnung einer Betreuung ist das Betreuungsgericht, das Teil des Amtsgerichts ist. Allerdings, solange eine Person ihren eigenen Willen noch bekunden kann, darf eine Betreuung nur auf ihren eigenen Antrag gestellt werden.
Wie Wolfgang Müller sagt, hat es vor einigen Jahren ein Verfahren gegeben, in dem das Betreuungsgericht am Landsberger Amtsgericht festgestellt hat, dass eine gesetzliche Betreuung der 71-jährigen abzulehnen ist. Bei dieser Form der Betreuung handelt es sich um die gesetzliche Vertretung von Menschen, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung ihre Angelegenheiten vorübergehend beziehungsweise dauerhaft nicht selbst regeln können. Das betrifft in Deutschland rund 1,3 Millionen Bundesbürger.
Die Landsberger Behörden haben also den freien Willen der Frau zu akzeptieren. Es sei ihre freie Entscheidung, auch bei Minustemperaturen im Freien zu schlafen. Mit ihrer „freiwilligen Obdachlosigkeit“gefährde sie weder sich noch andere. Der Frau sei durchaus bewusst, was sie tut, mit dem Schlafsack und entsprechender Kleidung sorge sie zudem dafür, dass sie kalte oder feuchte Nächte übersteht. Nur bei akuter Selbstgefährdung, so Müller, kann eine Zwangsbetreuung angeordnet werden. Grundlage dafür sei ein psychiatrisches Gutachten.
Franz Kreuzer hält den Fall dennoch für bedenklich. Was, wenn es der Frau wirklich einmal gesundheitlich schlecht geht? Wie kann dann reagiert werden? Oder, wird dann reagiert? Denn mittlerweile gehöre die Frau in ihrem blauen Schlafsack fast schon zum Stadtbild. Doch diese Gewohnheit berge auch die Gefahr, dass sie irgendwann übersehen wird.