Griechenlands Extremwinter trifft Flüchtlingslager hart
Unerwartet heftige Schneefälle überraschen Südeuropa. Tausende Asylbewerber frieren in Sommerzelten. Versagt die Athener Regierung?
Kalte Zelte, die unter einem halben Meter Schnee zusammenzubrechen drohen, gefrorener Boden, der tagsüber zu Matsch wird – Bilder aus den Flüchtlingslagern der griechischen Inseln zeigen ein Elend tausender Menschen. In Griechenland herrscht seit Tagen ungewohnt extremes Winterwetter, von dem auch die einheimische Bevölkerung überrascht wurde. Militär, Feuerwehr und Polizei sind im Dauereinsatz, viele Dörfer sind ohne Strom und von der Außenwelt abgeschnitten. Auf teils meterhohen Schnee war man – außer hoch im Norden des Landes – nirgendwo vorbereitet. Experten befürchten Überschwemmungen, wenn der Schnee schmilzt.
Besonders bitter sind die Zustände vor allem auf jenen Inseln mit vielen Flüchtlingen wie Lesbos und Chios. Der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas muss sich derzeit von Opposition und Hilfsorganisationen harte Kritik anhören, weil dort für die Flüchtlinge und Migranten nicht ausreichend beheizbare Wohncontainer bereitstehen. Stattdessen sind viele in der Eiseskälte in verschneiten Sommerzelten untergebracht. Dabei hatte Mouzalas noch vor einer Woche verkündet, kein Flüchtling werde frieren. Das Gegenteil ist der Fall.
„Wie man die Menschen hier leben lässt, ist in höchstem Grade unverantwortlich und unmenschlich“, sagt die Ärztin Sophie de Vries über die Situation im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. Die Medizinerin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen arbeitet dort seit sechs Monaten. „Rund 2000 Menschen, darunter Kleinkinder, Schwangere, Traumatisierte, leben hier in dünnen Nylonzelten ohne Wasser, Heizung und Strom. Sie haben keine Matratzen, sie schlafen auf dem Boden – und das in manchen Fällen seit acht, neun Monaten.“
Im Winter kommen die Helfer mit der Versorgung überhaupt nicht mehr nach: „Die Flüchtlinge sind ständig nass“, sagt die Ärztin. „Wir verteilen trockene Kleider, aber wenn es regnet, geht alles wieder von vorne los, mehrfach pro Tag. Das ganze Lager ist ein einziges matschiges Loch. Wenn es besonders stark regnet, werden ganze Zelte weggespült.“Wer nicht sowieso schon krank sei, werde krank. „Die Zustände bergen enorme Gesundheitsrisiken“, sagt die Medizinerin.
Auch Nikolaos Marinos von der Hilfsorganisation Ärzte der Welt bestätigt, dass sich in den Lagern die Krankheiten ausbreiten. „Wir haben immer mehr Kinder und ältere Menschen mit Atemwegsinfektionen“, sagt Koordinator Marinos. „Für manche ist das lebensbedrohlich, weil die Kälte Asthma-Anfälle oder schwere Lungenentzündungen mit Komplikationen hervorrufen kann.“Allein die Zahl der Lungenentzündungen habe sich in den vergangenen beiden Monaten verdoppelt.
„Die Lager auf Inseln wie Lesbos, Samos und Chios sind dreifach überbelegt, rund 10000 Menschen harren in den Camps aus“, erklärt der Sprecher des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR, Roland Schönbauer. Das Flüchtlingshilfswerk versuche, Schwangere und kleine Kinder in Übergangswohnungen und Hotels unterzubringen. Viele Flüchtlinge müssten aber auf dem eiskalten Boden schlafen. Die meisten Betroffenen stammten aus den Konfliktländern Syrien, Afghanistan und Irak. Sie warten auf eine Registrierung, den Verlauf ihrer Asylverfahren oder die Weiterreise in andere EU-Länder.
Die EU-Staaten hatten 2015 Griechenland die Aufnahme von mehr als 66000 Asylsuchenden zugesagt. Bislang seien aber erst 7800 Männer, Frauen und Kinder in andere EU-Staaten gebracht worden. „Die Umverteilung kommt nicht richtig in Gang“, kritisiert UNHCR-Sprecher Schönbauer.
Inzwischen hat die griechische Regierung ein Schiff der Kriegsmarine nach Lesbos geschickt, um vorübergehend 500 Menschen aufzunehmen. An Bord: Heizlüfter, warme Decken und anderes Material. Alexia Angelopoulou, Takis Tsafos, dpa, und Jan Dirk Herbermann, epd
Immer mehr Kinder und Ältere werden krank