Die eigene Nichte kämpft gegen Chamenei
Farideh Moradkhani kritisiert seit Jahren das islamistische Regime in Teheran heftig. Kurz vor ihrer Verhaftung forderte sie per Video den Rücktritt des iranischen Revolutionsführers – er ist ihr Onkel.
Mit ihrem schwarzen Schleier sieht Farideh Moradkhani auf den ersten Blick aus wie eine Anhängerin der iranischen Theokratie. Doch die 51-Jährige bekämpft seit Jahrzehnten die Islamische Republik und damit ihren eigenen Onkel, Revolutionsführer Ali Chamenei. Der Weltöffentlichkeit wurde Moradkhani jetzt ein Video bekannt, das sie kurz vor ihrer Verhaftung vorige Woche aufnahm und in dem sie zum Sturz ihres Onkels aufruft. Moradkhani bekennt sich zu den Zielen der Protestbewegung, mit der sie eine Überzeugung teilt: Chameneis System kann sich nur mit blanker Gewalt an der Macht halten.
Die Feindschaft zwischen Moradkhani und dem mächtigsten Mann reicht weit zurück. Ihr Vater war der Geistliche Ali Moradkhani, Ehemann von Chameneis Schwester Badri. In der islamischen Revolution von 1979 arbeitete ihr Vater an der Verfassung der neuen Republik nach dem Sturz des Schahs mit, wandte sich aber bald von den religiösen Hardlinern um Ajatollah Ruhollah Chomeini und Chamenei ab. Er kam ins Gefängnis und floh 1984 in den Irak, gegen den der Iran damals Krieg führte; seine Frau und die fünf Kinder folgten ein Jahr später ins Exil.
Farideh Moradkhani, damals 14 Jahre alt, wurde von dem bitteren Zerwürfnis zwischen ihren Eltern und Chamenei geprägt. Ihre Mutter berichtete, dass ihr Bruder selbst enge Freunde brutal hinrichten ließ, und warf den Mullahs vor, sie hätten tausende Menschen auf dem Gewissen. Mitte der 1990er Jahre kehrte die Familie in den Iran zurück. Chamenei war inzwischen zum Revolutionsführer aufgestiegen, doch für die Familie seiner Schwester gab es kein Pardon. Faridehs Vater kam wieder in Haft und wurde erst 2005 entlassen. Er starb vor wenigen Wochen.
Moradkhani verschrieb sich dem Kampf gegen die Islamische Republik. Sie setzte sich für die Familien von politischen Gefangenen und gegen die Todesstrafe ein. Anfang des Jahres wurde sie festgenommen, offenbar weil sie an einer Online-Geburtstagsfeier für die Witwe des früheren Schahs, Farah Pahlewi, teilgenommen und sich dabei für die Rückkehr der Ex-Kaiserin in den Iran ausgesprochen hatte. Ihr in Frankreich lebender Bruder Mahmud sagte damals, Farideh Moradkhani sei im berüchtigten Evin-Gefängnis von Teheran in Einzelhaft gesteckt worden. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation HRANA wurde Moradkhani zu 15 Jahren Haft verurteilt, kam aber im April auf Kaution frei. Vorige Woche wurde sie erneut verhaftet.
Vorher zeichnete sie das Video auf, das sie weltbekannt machte. Darin ruft sie die internationale Gemeinschaft auf, die Beziehungen mit dem „mörderischen“iranischen Regime abzubrechen. In dem Drei-Minuten-Clip wiederholt sie ein Argument, das schon ihre Eltern gegen die Regierung ihres Onkels ins Feld führten: Die Führung der Islamischen Republik schere sich nicht um religiöse Prinzipien und kenne „keine Gesetze außer der Gewalt“. Sie vergleicht ihren Onkel mit Adolf Hitler und sagt voraus, Chameneis Regime werde von „freien und tapferen Iranern“gestürzt werden. Ihre Ansprache schließt Moradkhani mit der Parole der Protestbewegung: „Frau – Leben – Freiheit.“
Chamenei hat sich bisher nicht öffentlich zu dem Video geäußert. Zuletzt hatte der greise Revolutionsführer eine harte Linie gegen die Proteste angekündigt, die den Iran seit September erschüttern. Mehr als 400 Menschen sind seitdem bei Straßenschlachten zwischen Demonstranten und der Polizei sowie regimetreuen Milizionären ums Leben gekommen.
Omid Rezaee, ein iranischer Journalist in Deutschland, wertet Moradkhanis Video als Beweis dafür, wie breit gefächert der Widerstand gegen das Regime im Iran inzwischen ist. „Die Opposition hat die Angst überwunden“, sagte Rezaee unserer Zeitung. „Dass all diese Aktionen, Videos, Botschaften, Statements effektiv sind, liegt daran, dass sie sich ergänzen, sich zusammenfinden. Sie sind wie Wassertröpfchen, aus denen ein See wird, wenn sie zusammenkommen, wie man auf Farsi sagt.“