Der Fehlschlag des Überfliegers
Novak Djokovic ist der beste Spieler der Welt. Er hat Rafael Nadal und Roger Federer verdrängt. Geliebt aber wurde er von der großen Masse nicht. Das wird sich nach seinem fatalen Fehler in New York kaum ändern
New York Es ist schon ein Weilchen her, da saß Novak Djokovic im mondänen Country Club in Monte Carlo und zog während eines langen Gesprächs ein kurzes Fazit seiner Karriere bis dahin: „Ich habe das Unmögliche geschafft“, sagte Djokovic. Was er meinte, war klar: Er hatte den früheren Alleinherrschern der Tenniswelt, Roger Federer und Rafael Nadal, entschlossen als Störenfried auf den Centre Courts die Stirn geboten. War eingedrungen in ihr zweigeteiltes Universum. Hatte sie als neue Nummer eins sogar überholt. Später sagte Djokovic auch noch, natürlich sei es eine Motivation, am Ende seiner Laufbahn mit den meisten Grand Slam-Titeln dazustehen: „Das hält mich frisch, wach und motiviert.“
In New York, bei den US Open, hätte Djokovic (17 Titel) den ewigen Rivalen schon bedrohlich auf die Pelle rücken können. Federer (20 Titel) und Nadal (19 Titel) fehlen beim Geister-Grand Slam. Der eine verletzt, der andere vorsichtig in den Zeiten der Pandemie – doch nun ist auch Djokovic raus aus dem Turniergeschäft. Am Sonntagabend wurde der weltbeste Profi ausgeschlossen aus dem Wettbewerb, nicht etwa wegen einer Corona-Infektion oder anderer Unpässlichkeiten. Sondern weil er bei einem Black-Out auf dem Centre Court eine Linienrichterin am Kehlkopf traf und in seiner Achtelfinal-Partie gegen den Spanier Carreno-Busta noch im ersten Satz regelgemäß disqualifiziert wurde. Später entschuldigte er sich und sagte: „Ich fühle mich traurig und leer.“
Es war ein unglaublicher Lapsus eines Mannes, der als größter Perfektionist in der Tenniswelt gilt. „Es gibt nichts bei ihm, was nicht geplant ist. Und was das Ziel hat, noch stärker zu werden“, sagt Boris Becker, der fast drei Jahre als Cheftrainer bei dem 33-jährigen Serben wirkte. In normalen Zeiten reist Djokovic mit mehreren Coaches, Physiotherapeut und sogar einem Leibkoch zu den großen Turnieren.
Seit Jahren schwelte ein latenter Konflikt zwischen Djokovic und den alten Meistern Federer und Nadal in der Tennisszene. Es ging dabei um Macht und Einfluss, auch um Millionengeschäfte. Letztlich ging auch um persönliche Eitelkeiten – auf allen Seiten. Kurz vor den US Open wurde der Kleinkrieg öffentlich, es kam zu einem Kampfgeschehen auf offener Bühne. Djokovic, bis dahin der oberste Vertreter im Spielerrat der ATP-Tennistour, trat zurück, gründete in New York eine eigene Interessenvertretung. Federer und Nadal wurden sehr deutlich in ihrer Reaktion: Es gehe in dieser Zeit nicht um Spaltung, sondern um Einigkeit.
Djokovic wirkt einerseits wie ein glattes Kunstprodukt, etwa mit seinen äußerst geschliffenen Statements, etwa mit seiner pedantischen Korrektheit in Ernährungs- oder
Umweltfragen. Aber sein Hang zu esoterischen Quacksalbern, zu gewissen Verschwörungstheorien, zu einem gelegentlichen Geraune „gegen den Westen“macht ihn auch zu einer kontroversen Figur. In diesem
Corona-Jahr war das besonders spür- und sichtbar, ein ums andere Mal stolperte der Frontmann der Tenniswelt über sich selbst, allem voran mit seiner ausgearteten Adria-Tour, bei der die Pandemie
Realität schier weggeleugnet wurde. Djokovic redete auch noch Impfgegnern und dubiosen Heilern das Wort, bei der Auswahl mancher Freunde hatte er wahrlich kein gutes Gespür.
Der immer eine Rolle spielende Imagekampf Djokovics gegen Federer und Nadal wurde auch 2020 von schrillen Tönen aus dem Familienkreis begleitet. Im Sommer verstieg sich Djokovic Vater Srdjan zu der Aufforderung an Federer, er solle doch mit seinen 39 Jahren endlich aufhören und ein Leben ohne Tennis führen. Djokovic Mutter Dijana hatte den Schweizer zuvor schon als „ein bisschen arrogant“bezeichnet. Über ihren Sohn sagte sie in einem Interview dies: „Er glaubt an Gott. Und er fühlt sich auserwählt.“
Tennis in der Weltspitze ist ein knallhartes Geschäft, eine Ansammlung von Ego-Shootern. Djokovic präsentierte gern – wie Federer und Nadal – eine philanthropische Ader, als Stiftungsgründer, als Lobbyist für schwächere Profikollegen. Djokovic wollte siegen, er wollte geliebt werden. Ein unachtsam weggeschlagener Ball in New York hilft da nicht weiter. » Randbemerkung