Standortbestimmung statt Kontaktverbot?
Coronavirus Um das öffentliche Leben langsam wieder zu normalisieren, wird viel über Corona-Apps gesprochen. Ihre Daten sollen aufzeigen, wer sich wann wo befindet. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten – eine ist vielversprechend
Augsburg Wann kann das normale Leben langsam wieder beginnen? Eine Frage, nach deren Antwort sich momentan alle sehnen. Um das öffentliche Leben schrittweise wieder hochzufahren, wird derzeit oft über Corona-Apps diskutiert. Also Handyprogramme, die überwachen sollen, wer mit wem und wie lang Kontakt hatte. In Südkorea und Singapur hat das recht erfolgreich funktioniert. In Deutschland regen sich bei vielen Menschen Datenschutzbedenken, wenn sie davon hören. Aber gehen wir einen Schritt zurück. Warum ist es wichtig zu wissen, wer sich wann wo aufhielt? Hinter der Debatte um Corona-Apps steckt folgender Gedanke: Um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, ist es wichtig zu wissen, mit wem ein Infizierter Kontakt hatte, wen er angesteckt haben könnte. Momentan versuchen Gesundheitsämter das herauszufinden. Sie befragen infizierte Patienten und informieren deren Kontaktpersonen. Solange es nur wenige Infizierte gibt, geht das. Doch je mehr Menschen angesteckt sind, desto schwieriger wird die Nachverfolgung. Dazu kommt, die Nachverfolgung ist lückenhaft. Jeder wird vermutlich nur die Kontaktpersonen nennen, die er kennt. Was ist aber mit dem unbekannten Hintermann im Bus oder der Supermarkt-Kassiererin? Mithilfe der Technik könnte die Nachverfolgung einfacher und die Lücken geschlossen werden.
Um Handynutzer zu orten – also festzustellen, wer wann wo war –, gibt es mehrere Methoden. Zum einen GPS. In den meisten Smartphones sind GPS-Empfänger eingebaut. Diese senden Signale an Satelliten und können dann über die Zeit, die das Signal zu den Satelliten und zurück benötigt, auf etwa zehn Meter genau bestimmen, wo auf der Welt sie sich befinden. Diese Standortdaten kann ein Nutzer teilen – wenn er möchte. Eine andere Möglichkeit, herauszufinden, wer sich wo aufhält, ist die Funkzellenortung – auch Paging genannt. Diese Art der Standortermittlung ist wichtig, um das Telefonnetz am Laufen zu halten. Um etwa Anrufe zu übertragen, müssen die Funkmasten wissen, welcher Nutzer in welcher Funkzelle registriert und erreichbar ist. Um den Standort eines Handynutzers allerdings genauer zu bestimmen, sind die Daten von mehreren Funkzellen nötig. Legt man diese übereinander, nennt sich das Triangulation. Anders als das Paging funktioniert die allerdings nicht automatisch. Dafür aber ebenfalls auf etwa zehn Meter genau.
Werden solche Standortdaten in Echtzeit übertragen, spricht man von Tracking.
Nun gibt es aber mehrere Knackpunkte: Zum einen ist eine Genauigkeit von zehn Metern etwas vage, wenn schon ein Sicherheitsabstand von 1,5 Metern ausreicht, um eine Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus maßgeblich zu verringern. Zum anderen kann mittels dieser Methoden zum Beispiel nicht unterschieden werden, ob sich jemand auf der Straße oder im zweiten Stock eines Hauses aufhält. Deshalb kommt nun eine dritte Methode ins Spiel, die momentan auch sehr aussichtsreich erscheint, in Corona-Apps verwendet zu werden.
Entwickelt hat diese Methode die Initiative Pepp-PT. Die etwas sperrige Abkürzung steht für den noch sehr viel sperrigeren Namen: PanEuropean Privacy Preserving Proximity Tracing. Das Projekt, in dem 130 Wissenschaftler und Experten aus ganz Europa zusammenarbeiten, verspricht, Kontakte nachzuverfolgen und dabei den Datenschutz zu gewährleisten. Kein Nutzer soll identifizierbar sein. Auch soll der Standort des einzelnen Nutzers nicht in Echtzeit übermittelt – also getrackt – werden, sondern nur im Nachhinein nachverfolgt werden können, mit wem ein Mensch Kontakt hatte – dann spricht man von Tracing.
Die beteiligten Experten haben folgendes System entwickelt, das über Bluetooth – und damit in einer sehr viel geringeren Distanz – funktioniert: Hält sich Person A für länger als 15 Minuten in einem geringeren Abstand als zwei Meter bei Person B auf und B hat die Anwendung ebenfalls auf ihrem Handy installiert, tauschen die beiden Programme einen anonymisierten Code aus.
Jeder Handynutzer speichert die so entstehenden Kontaktdaten für 21 Tage auf seinem Handy, ohne zu wissen, wer sich hinter den jeweiligen Codes verbirgt. Wird A innerhalb dieser 21 Tage positiv auf das Coronavirus getestet, kann sie an alle Personen in ihrem Kontaktverzeichnis einen Hinweis verschicken – und zwar unabhängig davon, ob sich A und B wirklich kennen oder nur zusammen im Bus saßen. Auch ob eine Wand oder Glasscheibe zwischen A und B verläuft, soll das System erkennen können. Die Kontaktpersonen wüssten dann zwar, dass sie Kontaktpersonen sind, aber nicht, wer der Infizierte ist. Der Datenschutz wäre gewährleistet.
Das alles klingt weniger nach Überwachungsstaat als die Ortung einzelner Nutzer über Funkzellen oder GPS. Deshalb scheint sie auch die bevorzugte Methode des Gesundheitsministeriums zu sein. Auch mehrere andere europäische Regierungen – etwa in Italien, Dänemark, Frankreich – haben schon Interesse bekundet. Der Vorteil: Die Initiative entwickelt nur die Technologie. Diese wiederum kann jedes Land in eigene Handy-Apps einbauen. Die verschiedenen Apps wären miteinander kompatibel – und würden somit auch die Möglichkeit bieten, die Grenzen wieder zu öffnen.
Die Methode ist so gut wie fertig und wird momentan etwa vom Bundesamt für Informationssicherheit und dem Chaos Computer Club überprüft. Der nächste Schritt wäre, in Deutschland eine App zu veröffentlichen. Auch daran wird momentan gearbeitet. Wann diese App marktreif ist, ist nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums noch unklar. Sicher ist aber, dass mindestens 60 Prozent der Bevölkerung sich diese App auch auf das Smartphone laden müssten, damit sie ähnlich gut wirkt wie in Südkorea oder Singapur.