Punktsieg für den Pessimisten
In den Verhandlungen um Corona-Auflagen sind die Rollen diesmal andersherum verteilt: Armin Laschet gibt Gas und Markus Söder bremst. Die Frage ist, wer politisch profitiert
Berlin So ganz hat sich der Wunsch von Peter Altmaier nicht erfüllt. Der bisherige Rückhalt in der Bevölkerung während der CoronaKrise, sagte der Wirtschaftsminister jüngst im Interview, sei darauf zurückzuführen, „dass wir quer über alle Parteien hinweg auf die üblichen Grabenkämpfe und persönlichen Anfeindungen verzichtet haben“. So müsse es weitergehen, denn so komme man zu guten Lösungen für Deutschland, erklärte der CDU-Politiker.
Seit Mittwoch wissen die Deutschen, wie es weitergeht mit dem Kampf gegen Corona: Es wird die ersehnten Lockerungen geben, Wirtschafts- und Alltagsleben sollen in kleinen Schritten an eine Normalisierung herangeführt werden. Doch das bedeutet offenbar auch, dass Politiker wieder in die alten Reflexe zurückfallen. An Altmaiers Appell, auf „persönliche Profilierung“zu verzichten, haben sich jedenfalls nicht alle gehalten. Vor allem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet fiel ein wenig aus der Rolle.
„Was wir erreicht haben, ist ein Zwischenerfolg, nicht mehr und nicht weniger. Und es ist ein zerbrechlicher Zwischenerfolg“, bilanzierte Merkel bei der Abschlusspressekonferenz. Die CDU-Politikerin bestätigte indirekt den Eindruck, den auch Teilnehmer wiedergaben: Es gab zwar keinen Riesenzoff, aber auch nicht die ersehnte Einigkeit. „Sie werden in einem föderalen Gebilde nie auf den Tag genau das Gleiche haben“, sagte Kanzlerin Merkel.
Wie aus den Kreisen weiter verlautete, wurde vor allem um eine Exit-Strategie für den schwer zu kontrollierenden öffentlichen Raum gerungen. Allerdings wurde nach Angaben von Teilnehmern der angepeilte Zeitplan dennoch eingehalten: Um ziemlich genau 18 Uhr traten Kanzlerin Angela Merkel (CDU), der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Vizekanzler Olaf Scholz sowie Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (beide SPD) im Kanzleramt vor die Mikrofone. Söder trat bei den Verhandlungen eher als Bremser auf, vertrat die Linie, die er vor den Beratungen auch öffentlich vorgegeben hatte: „Weniger Hektik, ein bisschen mehr Geduld und Besonnenheit könnten allen helfen.“Auf seine Seite schlug sich Teilnehmern zufolge der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).
Kretschmann widerstand dem großen Druck der Automobilindustrie, schnell große Lockerungsschritte zu unternehmen. Wie Bayern ist auch Baden-Württemberg von den Corona-Folgen besonders betroffen, Kretschmann nahm deshalb wie Söder den Fuß vom Gas. Beide näherten sich beim Thema Schulöffnungen einander an und plädierten dafür, nicht zuerst die Jüngeren wieder in die Klassen einziehen zu lassen, sondern die vor Abschlussprüfungen stehenden älteren Jahrgänge. Auffällig auch die Wortwahl von Söder und Kretschmann: Beide traten für ein „Maskengebot“ein, vermieden es aber, von einer Tragepflicht zu sprechen. Die es auch nicht geben soll.
Armin Laschet folgte zwar wie Söder und Kretschmann nicht der Empfehlung der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, zunächst nur die Grundschulen wieder zu öffnen. Darüber hinaus trat der Bewerber um den Posten des CDU-Vorsitzenden aber dem Vernehmen nach forscher auf als viele seiner Amtskollegen.
Laschet zeigte sich demnach in den Gesprächen etwas offener für Lockerungen als etwa Söder und Kretschmann. Er hätte sich offenbar Maßnahmen vorstellen können, die noch über ein vom Bund vorgeschlagenes Stufenmodell hinausgegangen wären. Im Raum stand demnach beispielsweise eine Öffnung von Theatern. Zuvor hatte der CDU-Politiker zwar einen gemeinsamen Fahrplan aller 16 Bundesländer eingefordert. Doch er hatte auch – mit umgekehrten Vorzeichen – Söders Rolle eingenommen. Der Bayer war in den Anfangstagen der Corona-Epidemie dadurch aufgefallen, dass er stärkere Schutzmaßnahmen forderte als seine Kollegen in den anderen Bundesländern. Zuletzt war es jedoch vor allem Laschet, der sich vehementer für Lockerungen aussprach als andere Politiker. Einer der Gründe dürfte sein, dass Laschet im Gegensatz zu Söder seine politische Zukunft nicht unbedingt in NRW sieht. Der CDU-Politiker will Parteivorsitzender werden und dann auch Kanzlerkandidat der Union. Immer wieder konnten in Deutschland Politiker mit Drang zu Höherem davon profitieren, wenn sie in einer Krise Führungsqualitäten und Profil zeigten. Bundeskanzlerin Merkel gelang dies beispielsweise in der Eurokrise, Altkanzler Gerhard Schröder mit seinem Nein zur deutschen Beteiligung am Irak-Krieg. Laschet mag zwar Boden gutgemacht haben, aber es ist noch längst nicht ausgemacht, dass er gegen seine Herausforderer Norbert Röttgen und Friedrich Merz gewinnen kann. Er dürfte die Ungeduld in der Bevölkerung und die Sehnsucht nach Lockerungen gespürt haben. Der Gedanke lag nah, mit diesem Kurs in der Beliebtheitsskala Punkte zu machen. Ob seine Rechnung aufgeht, muss sich erst noch weisen. Denn auch die Angst vor Corona geht in der Bevölkerung weiter um, verbunden mit dem Wunsch nach einer starken Führungsrolle des Staates.
Am Mittwochabend jedenfalls deutet die von Bund und Ländern vorgegebene Marschroute eher auf einen Punktsieg für den Pessimisten Söder als für den Optimisten Laschet hin. Der Bayer hielt sich in seiner Mimik zwar diplomatisch zurück, seine Worte jedoch sprachen Bände: „Ich freue mich jedenfalls, dass sich die vorsichtigere Linie ganz eindeutig durchsetzt.“
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