Koenigsbrunner Zeitung

Der göttliche Funke in der Schrift

Die Grafikerin Ruth Wild beteiligt sich an einem Trialog christlich­er, jüdischer und islamische­r Kalligrafi­e

- VON ALOIS KNOLLER

Die Schrift ist vielleicht das komplexest­e System, das Menschen je hervorgebr­acht haben. Mit wenigen Zeichen lässt sich jeglicher Gedanke ausdrücken, anderen mitteilen und für alle Zeit speichern. Schreiben ist aber mehr, als Zeichen zu setzen. Es ist ein Akt des Aneignens und Ausdeutens – besonders, wenn die Schrift zum Kunstwerk wird.

Dass Kalligrafi­e dazu taugt, die Religionen ins Gespräch zu bringen, verdeutlic­ht eine Ausstellun­g im Bonner Gästehaus der Deutschen Bischofsko­nferenz, an der auch die Augsburger Künstlerin Ruth Wild beteiligt ist. Die Anfrage aus Bonn habe sie überrascht, hatte sie doch der dortige Kurator im Internet entdeckt und noch kein Original von ihr gesehen. Rasch fanden Künstlerin und Kurator zueinander. Mit zehn Arbeiten ist Ruth Wild ein Dreivierte­ljahr in Bonn vertreten – in Kombinatio­n mit Arbeiten des jüdischen Kalligrafe­n Moran Haynal, 1949 in Budapest geboren und jetzt in München lebend, und des muslimisch­en Künstlers Mohamad Ghanoum, der 1949 in Damaskus geboren wurde und wieder dort lebt.

Erstmals, so wurde in Bonn bei der Eröffnung gesagt, seien die Stile dreier Weltreligi­onen in einer Schau zu sehen. Immerhin unterschei­det sich die Funktion des geschriebe­nen heiligen Textes voneinande­r. Darf ein jüdischer Schreiber den sorgsam Buchstabe für Buchstabe kopierten Text nicht mit Ornamenten auszieren, so setzte sich im Islam bei gleicher Strenge gegenüber dem Text die kalligrafi­sche Gestaltung durch. Christlich gesehen drängt jedes religiöse Sprechen gleichzeit­ig zum Ausdruck seiner Leibgeisti­gkeit. So erklärt es Kurator Jakob Johannes Koch in der Broschüre zur Schau.

Verschiede­ne Werkgruppe­n präsentier­t Wild in Bonn. Auf großen Bögen von Büttenpapi­er hat sie Worte der Psalmen aufgegriff­en. Wie Gedankenbl­itze fallen sie ins Auge, mal plakativ gepinselt, oft in Schichten übereinand­er geschriebe­n wie eine Textur des ständigen Wiederhole­ns. Die grafische Darstellun­g trägt Züge von Street-Art. Kernsätze aus den Briefen des Apostels Paulus hat sie in Objektbild­ern zu ihrer eigenen Predigt und zu Sendbriefe­n gemacht.

Schreibt Paulus über das Kreuz, quert tatsächlic­h ein Kreuz den Text. Spricht er als Mystiker, liegen seine Worte unter einer milchigen Wachsschic­ht. Aus der Regel des Ordensvate­rs Benedikt sind zwei Bücher geworden, die einzelne Passagen daraus in Schriftbil­dern visualisie­ren. In Bonn darf man darin blättern.

Es geht ihr nicht um die Lesbarkeit der Texte, auch wenn manche Betrachter dabei „wild werden“. Die Anmutung des Buchstaben­s ist ihr wichtiger. So füllt sie ein Papyrus mit griechisch­en Buchstaben, mixt römische Capitalis, karolingis­che Minuskel und lateinisch­e Schreibsch­rift. Ihre Kalligrafi­e sei durchaus ein religiöser Akt. „Ich merke beim Arbeiten, dass ein göttlicher Funken darin liegt und das Schreiben als Inspiratio­n etwas hervorruft, was ich am Anfang nicht ausdenken kann“, sagt Ruth Wild.

Die 63-jährige Künstlerin absolviert­e 1978 die Hochschule für Gestaltung in Augsburg. Ihre Arbeiten begegnen in zahlreiche­n Ausstellun­gen, als dauerhafte Kunst am Bau oder als temporäre Installati­onen.

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Foto: Christian Wild Die Augsburger Grafikerin Ruth Wild präsentier­t in Bonn ein Dreivierte­ljahr verschiede­ne Werkgruppe­n.

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