Koenigsbrunner Zeitung

Tobende Kinder: Ein Busfahrer verliert die Nerven

Justiz Schon über 20 Jahre lang fährt ein Mann Schulbusse in der Region. Dann brennen ihm die Sicherunge­n durch. Im Prozess kommen grundsätzl­iche Fragen zur Begleitung der Kinder auf. Der Richter fordert Veränderun­gen

- VON TOM TRILGES

Aichach-Friedberg „Was Sie gemacht haben, ist unterlasse­ne Hilfeleist­ung und sonst gar nichts“, sagte Richter Walter Hell vom Aichacher Amtsgerich­t nach der Urteilsver­kündung gegen einen 73-jährigen Busfahrer. Der Verurteilt­e schaute in diesem Moment traurig und reumütig. Sein schlechtes Gewissen schien ihn zu plagen, weil er im Oktober einen Schüler aus seinem Bus durch eine Kurzschlus­sreaktion verletzt und anschließe­nd falsch regiert hatte. Richter Hell verhängte deshalb eine Geldstrafe von 2000 Euro, zu zahlen an die Verkehrswa­cht in AichachFri­edberg. Was war genau passiert?

Der Busfahrer fuhr bereits seit 1991 für ein Friedberge­r Busunterne­hmen, auch immer wieder Schulbusse. Ein großes Problem: Regelmäßig schrien Kinder laut durch den Bus, teilweise tobten sie sogar herum. Im Oktober dann verlor der 73-jährige Busfahrer die Nerven. Er bremste in einer Kurve in der Wulfertsha­user Geisbergst­raße abrupt und heftig ab – wohl aus Wut über die herumtolle­nden Kinder. „Ich weiß nicht, wieso genau ich gebremst habe. Mich beschäftig­t der ganze Vorfall jeden Tag“, sagte der Angeklagte vor Gericht. „Es tut mir leid, ehrlich.“

Ein achtjährig­er Bub wurde durch die Vollbremsu­ng erst gegen einen anderen Sitz und dann zu Boden geschleude­rt. Er verletzte sich die Rippen, seine Mutter brachte ihn noch am selben Tag in die Kinderklin­ik Augsburg. Das Schlimmste aber ereignete sich kurz danach. Ein neunjährig­er Schüler schilderte als Zeuge dem Gericht: „Ich bin mit einem Mitschüler an der nächsten Haltestell­e nach vorne zum Busfahrer gegangen. Wir haben ihm gesagt, dass sich ein Kind verletzt hat. Er hat aber gesagt, wir sollen uns wieder hinsetzen.“Der Angeklagte antwortete darauf: „Ich habe die beiden einfach nicht ernst genommen. Ich konnte auch im Spiegel keinen verletzten Jungen erkennen.“Richter Hell genügte diese Erklärung nicht: „Sie hätten nach hinten gehen und nachschaue­n müssen, was da los ist.“Nach der Urteilsver­kündung führte der Richter aus: „Was meinen Sie, was das für einen Eindruck auf hilfesuche­nde Kinder macht, wenn ein Erwachsene­r nicht eingreift?“

Die Probleme auf der Schulbusli­nie kamen nicht plötzlich. Der Friedberge­r Busunterne­hmer hatte sich schon Monate zuvor bei der Schulleitu­ng in Derching beschwert. Daraufhin mahnte diese in einem Brief zu Schuljahre­sbeginn, dass sich alle Kinder im Bus benehmen sollen – ohne nachhaltig­en Erfolg. Eine Elternvert­reterin sagte im Prozess: „Die Schwierigk­eiten waren seit Jahren bekannt. Mein Kind fährt selbst aber nicht mit dem Bus. Wir haben böse Reaktionen von anderen Eltern bekommen, als wir uns bei dem Thema eingeschal­tet haben. Danach ließen wir es sein.“

Nach dem Vorfall im Oktober fuhr zeitweise dann doch eine Mutter oder der Hausmeiste­r im Schulbus mit, mittlerwei­le ist dies nicht mehr der Fall. „Da liegt doch das eigentlich­e Problem“, so der Richter. „Entweder braucht es einen zweiten Fahrer oder jemand anderen, der aufpasst, dass die Kinder zumindest auf ihren Plätzen bleiben.“Das sei unrealisti­sch, befand der Inhaber des Unternehme­ns. „Das ist völlig wurscht. Wenn Sie im Bus nicht für Sicherheit sorgen, verurteile ich Sie hier eines Tages womöglich noch deswegen“, so Richter Hell. Die Situation auf der betroffene­n Strecke hat sich trotzdem mittlerwei­le durch zwei Umstände gebessert: Einerseits fährt regelmäßig ein Fahrer die Route, der nach Aussage von Eltern und Kindern mit den Schülern zurechtkom­mt. Zusätzlich wird eine Strichlist­e geführt: Benimmt sich ein Kind drei Mal daneben, darf es für einige Zeit nicht mehr mit dem Schulbus fahren.

„Trotzdem müssen Sie damit leben, dass Kinder mal laut sind“, wandte sich der Richter am Ende des Prozesses nochmals an den Angeklagte­n. „Das ist ja an jeder Schule so und leider wird das wohl auch so bleiben.“Hell riet dem 73-Jährigen, seinen Job aufzugeben, wenn er ihm nervlich nicht mehr gewachsen sei. „Nicht umsonst gehen Leute normalerwe­ise mit 65 in Rente.“

Strichlist­e für die Kinder, die sich danebenben­ehmen

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