Den Führerschein abgeben und mobil bleiben?
Ein 77-Jähriger aus dem Kreis Aichach-Friedberg gibt das Autofahren freiwillig auf, weil er sich am Steuer unsicher fühlt. In Ingolstadt könnte er dafür ein Jahr lang kostenlos Bus und Bahn fahren – im AVV-Gebiet nicht
Region Augsburg
Herbert A. ist ein erfahrener Autofahrer. Der 77-Jährige aus dem Landkreis AichachFriedberg hat Ende 1958 seine Führerscheinprüfung bestanden. Oft ist er mit dem Lastwagen gefahren. Sogar einen Panzer hat er einmal gesteuert, erzählt er. Doch jetzt soll Schluss sein mit dem Fahren, hat er beschlossen. „Ich habe gemerkt, dass ich mich im Verkehr unsicher fühle“, erzählt er. Herbert A. wollte deshalb seinen Führerschein abgeben. Würde er in Ingolstadt wohnen oder in den Landkreisen Günzburg und Unterallgäu, könnte er seine Fahrerlaubnis gegen eine kostenlose Jahreskarte eintauschen. Dort dürfen Senioren, die freiwillig auf ihren Führerschein verzichten, ein Jahr lang Busse, Bahnen und Straßenbahnen nutzen, ohne einen Cent dafür zu zahlen. Doch in der Region Augsburg gibt es dieses Angebot nicht.
Wie eine Sprecherin des Augsburger Verkehrs- und Tarifverbunds (AVV) erklärt, sei dies für den Großraum Augsburg und Umgebung bis jetzt noch nie diskutiert worden. Zum AVV gehören Stadt und Kreis Augsburg, Wittelsbacher Land und Teile des Landkreises Dillingen. Im Landratsamt Aichach-Friedberg heißt es dazu ebenfalls: „Ist derzeit weder im Landkreis noch im AVV-Gebiet angedacht.“Ändern könnte das freilich der AVV mit seinen Gesellschaftern und den Verkehrsunternehmen oder auch eine einzelne Kommune, die beschließt, ihren Senioren eine solche Jahreskarte zu finanzieren.
Im Aichacher Landratsamt melden sich im Jahr weniger als fünf Senioren, um ihren Führerschein freiwillig abzugeben. In Ingolstadt haben in den vergangenen zwei Jahren gut 90 Senioren ihre Fahrerlaubnis gegen ein kostenloses Jahresticket für öffentliche Verkehrsmittel getauscht. Anfragen, ob es Vergünstigungen für Bus und Bahn gibt, wenn man seinen Führerschein abmeldet, bekommen die Mitarbeiter bei der Führerscheinstelle des Landratsamts in Aichach aber des Öfteren.
Auch die Polizei meldet sich hier regelmäßig wegen besonderer Vor- kommnisse im Straßenverkehr, wie ein Sprecher des Landratsamtes erklärt. Meist geht es um Unfälle oder um auffälliges Fahrverhalten. Unabhängig vom Alter des Fahrers wird dann ein „Verfahren zur Klärung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen“eingeleitet.
Die Polizei berichtet dem Landratsamt, welche Auffälligkeiten beobachtet wurden. Solche Verfahren gibt es auch bei Herz-KreislaufProblemen oder nach Schlaganfällen. Darüber hinaus geht es in manchen Fällen um Verwirrtheit, Zittrigkeit, Desorientierung, Wahrnehmungsund Reaktionseinschränkungen oder Gebrechlichkeit. 2017 sind im Landkreis Aichach-Fried- berg 22 Senioren über 70 aufgefordert worden, zum Eignungstest zu kommen. 2018 waren es bislang 16 Senioren.
Oftmals sind es jüngere Verwandte, die feststellen, dass Oma oder Opa besser nicht mehr hinter dem Steuer sitzen. Helmut Beck, Vorsitzender der Kreisverkehrswacht Aichach-Friedberg, kennt das Problem. Manche Senioren reagieren nicht besonders einsichtig auf den gut gemeinten Rat ihrer Familie, das Auto stehen zu lassen.
Beck erinnert sich noch gut an seine Zeit als Verkehrssachbearbeiter bei der Polizei in Aichach und an die Anrufe von hilfesuchenden Angehörigen: Wie bringe ich meine betagten Verwandten dazu, den Führerschein abzugeben, ohne den Familienfrieden zu gefährden? „Ältere Leute wollen eben mobil bleiben“, sagt Helmut Beck. Helfen könnte es beispielsweise, den Senioren anzubieten, sie in Zukunft mit dem Auto zu Terminen oder Verabredungen zu fahren. Zum kostenlosen Jahresticket für den öffentlichen Nahverkehr sagt Helmut Beck: „Das wäre eine Variante, über die man nachdenken kann. Man müsste den Bedarf ermitteln.“
Von verpflichtenden Fahreignungstests, die an das Alter geknüpft sind, hält der Vorsitzende der Verkehrswacht dagegen grundsätzlich nichts. Er setzt stattdessen auf Eigenverantwortlichkeit. Die Verkehrswacht verfügt über Fahrsimulatoren und Reaktionstests. Hier können alle Autofahrer altersunabhängig herausfinden, wie es um ihre Fähigkeiten am Lenkrad steht, ganz ohne Konsequenzen. Der ADAC bietet einen Fahr-Fitness-Check mit Beratung und Fahrsicherheitstraining für ältere Autofahrer an.
Einige Fahrschulen haben speziell auf Senioren ausgerichtete Auffrischungskurse im Angebot. Es sind auch Nachtfahrten oder Autobahnfahrten mit dem eigenen Auto möglich.
Nur bei offensichtlicher Verwirrung kommt die Aufforderung zum Eignungstest
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