Wenn der Schiedsrichter foult
Zum Wesen der modernen Welt gehört es, dass sich Autoritäten zusehends auflösen. Kirche oder Staat sind zwar wichtig, aber alleine geben die beiden schon lange nicht mehr die Richtung vor. Wohin man sieht, gibt es nur noch flache Hierarchien: Aus dem knochenharten Lehrer ist ein softer Kumpeltyp geworden. SchleiferTrainer der Marke Magath oder Lorant sind völlig außer Mode geraten. Und die Zeiten, in denen der Bademeister im Freibad den Respekt der Jugend-Gangs hatte, sind sowieso schon lange vorbei. Wenn es sie denn jemals gegeben hat.
Ein anderer Grundpfeiler der Autorität bröckelt mittlerweile schon gewaltig: die Schiedsrichtergarde. Statt eines gestrengen Oberlehrertypes, der über den Dingen zu stehen scheint, steigen auch die Unparteiischen immer mehr von ihrem Sockel herab. Sie tun Dinge, die normalerweise den Spielern vorbehalten sind: tragen pinke Trikots, haben ein Instagram-Account. Der englische Unparteiische Mark Clattenburg hat sich sogar ein Tattoo stechen lassen.
Sein französischer Kollege Tony Chapron hat sich am Wochenende angeschickt, die letzte von Profis besetzte Bastion zu stürmen: die des gepflegten Ausrasters auf dem Platz. Paris führte in Nantes mit
1:0 und befand sich im Angriff, als es passierte: Nantes-Verteidiger Diego Carlos stieß aus Versehen mit Chapron zusammen. Der 45-Jährige fiel zu Boden und verlor auf dem Weg nach unten offenbar die Beherrschung: Noch auf dem Boden liegend, führte er einen Vollspannstoß gegen den Fuß des Verteidigers aus. Ein Nachtreten wie aus dem Lehrbuch. Als Chapron, der abseits des Fußballplatzes sein Geld als Polizist verdient, wieder stand, beendete er die Partie für den Brasilianer per Gelb-Roter Karte. Der sichtlich verduzte Spieler wusste gar nicht, wie ihm geschah – trollte sich aber letztlich doch.
Macht Chaprons Modell jetzt Schule? Schlägt die SchiedsrichterGilde zurück? Bekommt der nächste Spieler, der sich über einen Elfmeterpfiff beschwert, einfach eine Kopfnuss des Unparteiischen serviert? Lassen die Referees demnächst unflätige Bemerkungen über die Mutter des Stürmers der Gästemannschaft fallen?
Eher nicht. Der französische Verband hat dem Streben Chaprons Einhalt geboten und den 45-Jährigen suspendiert. Hoffentlich musste keiner ihm die Nachricht persönlich überbringen.