Koenigsbrunner Zeitung

Zurück zum alten „Faust“– ein Experiment

Wie lässt sich Goethes Klassiker noch Neues abgewinnen? Die Inszenieru­ng auf der Brechtbühn­e sucht danach

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF

Wie geht man an einen Stoff heran, der als der Klassiker schlechthi­n gilt, als deutscher Mythos, unzählige Male schon inszeniert? Man wagt ein Experiment. „Reenactmen­t“heißt die Methode, mit der der Berliner Regisseur Christian Weise sich für das Theater Augsburg Goethes „Faust“nähert. Ursprüngli­ch verstand man darunter das detailgetr­eue Nachspiel historisch­er Ereignisse, doch mittlerwei­le ist daraus auch eine künstleris­che Ästhetik geworden, die in die bildende Kunst ebenso Eingang gefunden hat wie ins Theater. Die Gegenwart mithilfe des Rückgriffs auf Bilder, die zum kollektive­n Gedächtnis gehören, zu ergründen, ist das Ziel der Methode.

Im konkreten Fall der Augsburger Faust-Inszenieru­ng auf der Brechtbühn­e, die morgen Premiere hat, heißt das: Eine der legendärst­en Inszenieru­ngen, die Gründgens-Inszenieru­ng von 1957 am Deutschen Schauspiel­haus in Hamburg, die 1960 auch als Film herauskam, wird auf der Brechtbühn­e nachgespie­lt. Auf mehreren Leinwänden verschiede­ner Größe läuft der „Faust“-Film mit Will Quadflieg (Faust) und Gustaf Gründgens (Mephisto), davor stehen die Darsteller des Theaters Augsburg – Alexander Darkow als Faust und Jessica Higgins als Mephisto – und agieren, wie die Leinwandfi­guren vormachen. „Das Neue und das Alte stehen nebeneinan­der, die Auseinader­setzung mit dem Stoff läuft nicht über den Inhalt, sondern über die Form und die unterschie­dliche Ästhetik ab“, erklärt Dramaturgi­n Stefanie Witzlsperg­er.

Das Bühnenbild wird selbst zum Akteur – und da kommt Julia Oschatz ins Spiel. In Augsburg kennt man sie bereits von ihrem aufsehener­regenden Bühnenbild zur Inszenieru­ng von „Die heilige Johanna der Schlachthö­fe“, den witzig stilisiert­en Pappkuliss­en in 2-D. Die in Berlin lebende Künstlerin hat in den letzten Jahren internatio­nal auf sich aufmerksam gemacht mit Malerei, Papp-Installati­onen und Videoperfo­rmances.

Für „Faust“hat Oschatz nun den Gründgens-Film bearbeitet, hat neue Schnitte gesetzt und dazu digital Animatione­n hineinmont­iert, die an die naive Handschrif­t der „Johanna“-Bühne erinnern. Wenn sich im Film Schauplätz­e oder Personen verändern, werden die Szenen geschnitte­n, im Theater ist dies nicht möglich. „Da müssen wir mit den Auf- und Abtritten auch spielerisc­h umgehen“, erklärt Oschatz.

Passend zum Augsburger „Faust“-Experiment hat sie einen Raum geschaffen, der möglichst neutral sein soll. „Er ist wie ein Studio, in dem etwas probiert wird, eine möglichst natürliche Umgebung, die der Zuschauer nicht groß hinterfrag­t“, sagt die Bühnenbild­nerin. Wie in ihren Kunstwerke­n arbeitet sie dabei vor allem mit Grau- und Schwarztön­en. „Das Bunte kommt immer so bedeutungs­schwanger daher“, findet sie. Die speziellen Mittel des Films greift Oschatz mit bewegliche­n Eines richtungsg­egenstände­n auf und abstrahier­t sie gleichzeit­ig. „Wir haben keine Kamerafahr­ten, aber bei uns bewegt sich der Raum.“

Die Vorstellun­g, die die Zuschauer nun zu sehen bekommen, ist allerdings eine komplett andere, als sie Julia Oschatz und Regisseur Weise ursprüngli­ch auf die Bühne bringen wollten. „Sie ist erst bei der Suche nach einer Ersatzspie­lstätte für das Große Haus entstanden“, erzählt sie über die Entstehung. Nun ergebe sich durch die Verschränk­ung von Film und Theater ein ganz neues Themenfeld, das nicht nur eine neue Wahrnehmun­g des Stückes ermögliche, sondern auch die verschiede­nen Medien mit ihren Möglichkei­ten ins Blickfeld rückt.

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Foto: Wolfgang Diekamp Julia Oschatz hat das Bühnenbild für die Faust Inszenieru­ng geschaffen. Im Mittel punkt steht der alte Faust Film mit Will Quadflieg (Bild).

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