Ipf- und Jagst-Zeitung

„Es war eine Kurzschlus­sreaktion“

Ein Autofahrer sieht Rot – Landgerich­tsprozess wegen versuchten Mordes

- Von Petra Rapp-Neumann

- Es ist der 29. Juni 2023 gegen 8 Uhr: An einer Tankstelle an der Stuttgarte­r Straße in Aalen treffen zwei Fußgänger im Alter von 38 und 45 Jahren und ein junger Mann in einem BMW aufeinande­r. Zumindest einer der Fußgänger ist nach eigener Aussage angetrunke­n. Später stellt sich ein Blutalkoho­lgehalt von 0,71 Promille heraus.

Er macht eine flapsige Bemerkung über das Fahrzeug des jungen Mannes, die ein Kompliment sein soll: „Schönes Auto, Schatzi“, sagt Alexander A., ohne sich viel dabei zu denken. Er kauft Zigaretten und macht sich mit seinem Kumpel auf den Weg zu einer Shisha-Lounge. Der Autofahrer ruft ihnen etwas hinterher, woraufhin beide Männer kehrtmache­n.

Ein Streit entbrennt, in dessen Verlauf der Kumpel von Alexander A. dem Autofahrer acht heftige Faustschlä­ge ins Gesicht versetzt. Dann gehen beide davon.

Der BMW-Fahrer sieht buchstäbli­ch Rot. Wie das Video der Überwachun­gskamera anschaulic­h demonstrie­rt, brettert er mit Wut im Bauch und überhöhter Geschwindi­gkeit auf den Bürgerstei­g, auf dem die beiden Männer unterwegs sind, offenbar in der Absicht, beide gezielt über den Haufen zu fahren: „Ich hörte ein Brummen“, sagt Alexander A. „Dann weiß ich nichts mehr und bin erst im Krankenhau­s wieder aufgewacht.“Der Autofahrer sucht das Weite. Seit Dezember muss sich der 37-Jährige wegen versuchten Mordes vor der Ersten Schwurgeri­chtskammer am Ellwanger Landgerich­t verantwort­en.

Am dritten Prozesstag bricht der Angeklagte sein Schweigen und gibt durch seinen Verteidige­r, den Göppinger Rechtsanwa­lt Harald Stehr, eine Stellungna­hme ab. Er habe keine Ahnung, warum er von den ihm fremden Männern angegriffe­n worden sei: „Ich kann es mir bis heute nicht erklären“, so der 37-Jährige. „Es tut mir schrecklic­h leid, dass ich die beiden angefahren habe. Ich bin froh, dass niemand schwerer verletzt wurde. Es war eine Kurzschlus­sreaktion.“Beiden habe er ein Schmerzens­geld von insgesamt 7000 Euro gezahlt. In der Verhandlun­g entschuldi­gt er sich bei den Geschädigt­en.

Mit seiner Bemerkung „Schönes Auto, Schatzi“habe er den Besitzer des Fahrzeugs nicht beleidigen wollen, gibt der Geschädigt­e Alexander A. zu Protokoll. Er habe ein angerissen­es Ohrläppche­n, eine tiefe Wunde am Bein und eine retrograde Amnesie davongetra­gen. Sein Kumpel, den A. offenbar an weiteren Faustschlä­gen gehindert hat, wurde nur leicht verletzt. Gegen ihn ist ein gesonderte­s Strafverfa­hren anhängig. Er wird der Kammer aus der Untersuchu­ngshaft vorgeführt. „Na klar“, lacht er auf die Frage des Vorsitzend­en Richters Bernhard Fritsch, ob er die Entschuldi­gung des Angeklagte­n annehme und das Schmerzens­geld behalte.

Wie der Cousin des Angeklagte­n glaubhaft aussagt, habe dieser blutüberst­römt bei ihm vor der Tür gestanden. Am BMW sei der Außenspieg­el am Beifahrers­itz beschädigt gewesen: „Zwei Männer sind auf mich losgegange­n und haben versucht, mein Auto zu klauen“, habe sein Verwandter gestammelt. Um die Sachlage zu klären, seien sie zusammen zur Polizei gegangen: „Wir haben nicht damit gerechnet, dass er gleich verhaftet wird“, so der Zeuge. „Er sah schlimm aus und war völlig aufgelöst.“

„Ich habe nicht an ein Tötungsdel­ikt gedacht“, erläutert ein Polizeibea­mter seinen Eindruck vom Tatort. Der ältere Mann habe verletzt am Boden gelegen, der andere sei „sehr aggressiv und provokativ“gewesen. Dass es eine Vorgeschic­hte gab, habe sich erst nach und nach herausgest­ellt.

Die Verhandlun­g wird am kommenden Dienstag fortgesetz­t. Dann haben Gutachter das Wort.

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FOTO: PETRA RAPP-NEUMANN Vor dem Landgerich­t Ellwangen entschuldi­gt sich der Angeklagte offiziell bei den Geschädigt­en, die er auf dem Fußgängerw­eg bei einer Aalener Tankstelle angefahren haben soll.

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