Ipf- und Jagst-Zeitung

„Niemand mag mich, aber das mag ich“

Der chinesisch­e Künstler Ai Weiwei über seine Ängste, Eitelkeite­n, Kunst und das Verhältnis zu seinem Sohn

- Von Philipp Hedemann

BERLIN - Er ist einer der wichtigste­n Künstler der Gegenwart und einer der lautesten Kritiker Chinas. Jetzt ist Ai Weiweis Autobiogra­fie „1000 Jahre Freud und Leid“erschienen. Im Interview spricht der 64-Jährige unter anderem über die Angst vor einem übermächti­gen China, warum er Berlin nicht mag und die Ohnmacht der Kunst. Zudem verrät er, weshalb er keine Lust mehr auf Kunst hat.

Ai Weiwei, muss die Welt Angst vor China haben?

Das wäre so, als ob eine Eiche Angst vor einer Birke oder einem Ahornbaum hätte. Es sind einfach unterschie­dliche Bäume. Ein Problem wird daraus nur, wenn ein Baum so groß wird, dass seine Krone den anderen Bäumen das Licht nimmt und seine Wurzeln das ganze Wasser aufsaugen. Zwischen den Bäumen herrscht deshalb ein ständiger Kampf. Solange man auf seine eigene Identität vertraut, muss man keine Angst vor diesem Kampf haben. Allerdings: China ist heutzutage nicht nur ein Baum, es ist ein Wald. Und China pflanzt in Afrika, Südamerika und Europa weiterhin fleißig Bäume. Manchmal kommt es vor, dass eine invasive Art einheimisc­he Arten verdrängt.

Also ist Angst vor China berechtigt?

China hat zweifelsoh­ne großes Potenzial und die Fähigkeit zu verdrängen. Wenn die anderen Bäume sich nicht hartnäckig wehren, dann wird China die Oberhand gewinnen. Das ist klar! Die chinesisch­en Bäume sind sehr stark. China hat definitiv den klaren Willen, eine Supernatio­n zu werden und die Welt wirtschaft­lich und kulturell zu dominieren.

Vor zehn Jahren wurden Sie in China wegen angebliche­r Steuerhint­erziehung festgenomm­en und saßen 81 Tage in Haft. Hätten Sie Angst, erneut verhaftet zu werden, wenn Sie zurückging­en?

Ginge ich zurück nach China, könnte es jederzeit passieren. Vor der Haft hätte ich keine Angst. Aber ich fürchte, dass sie mich anders leiden lassen würden.

Wie könnte China Sie leiden lassen?

Indem sie meine Beziehunge­n zur Realität abschneide­n. Indem sie mich in einem Raum isolieren und mich weder meinen Anwalt noch meine Mutter anrufen lassen. Das würde bedeuten, dass das Leben beendet ist, bevor man stirbt. Ich hätte Angst, dass sie dafür sorgen würden, dass meine Stimme nicht mehr gehört werden kann. Außerdem möchte ich nicht, dass mein Sohn seinen Vater so früh verliert. Er ist erst zwölf Jahre alt.

Sie haben von 2015 bis 2019 in Berlin gelebt, gearbeitet und gelehrt. Aber in Ihrer jetzt erschienen­en Autobiogra­fie „1000 Jahre Freud und Leid“erwähnen Sie Berlin kaum. Haben Sie gerne dort gelebt? Nein! Alle mögen Berlin. Ich nicht. Ich mag den Sonnensche­in, aber in Berlin sind die Winter kalt und lang. Außerdem: Berlin ist zu dreckig und zu faul. Was ist bloß mit dieser Stadt los? Niemand schneidet dort einen Baum oder kehrt die Straße. Alles ist so kaputt! Dabei gibt es in Berlin doch so viele Migranten. Gebt ihnen einfach ein wenig Geld und lasst sie die Arbeit machen. Aber das passiert nicht! Berlin ist eine Stadt ohne Hoffnung. Man kann doch nicht die drittmächt­igste Nation der Welt sein, aber eine Hauptstadt wie ein Dritte-Welt-Land haben! Gucken Sie sich doch nur den Flughafen und die Infrastruk­tur an! Außerdem gefällt es mir nicht, dass die Taxifahrer in Berlin alle aus der Türkei kommen.

Was für ein Problem haben Sie mit Taxifahrer­n aus der Türkei?

Dass sie in dritter Generation in Berlin leben und immer noch Taxi fahren. Das ist für mich kein gutes Zeichen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Sie hart über Berlin und Deutschlan­d urteilen. Als Sie vor zwei Jahren von Berlin nach Cambridge gezogen sind, haben Sie über Deutschlan­d gesagt, es sei autoritär, fremdenfei­ndlich, bigott und intolerant. Viele Deutsche empfanden Ihre Kritik als sehr ungerechtf­ertigt. Niemand mag mich, aber das mag ich. Denn ich bin in einer Gesellscha­ft aufgewachs­en, in der mich niemand mochte.

Sehen Sie sich als Helden?

Nein. Im Westen sehen mich manche als Helden, der gegen die Kommuniste­n gekämpft hat. Aber ich bin nur ein Mann, der für Recht und Freiheit einsteht.

Das glaube ich nicht. Zwar haben autoritäre Staaten wie China Angst vor der Kunst, weil sie im direkten Zusammenha­ng mit der Meinungsfr­eiheit steht. Aber diese autoritäre­n Staaten lassen sich nicht von der Kunst besiegen. Ihre Systeme sind stärker und mächtiger als die Kunst.

Sie haben Fans auf der ganzen Welt. genießen Sie es, bewundert zu werden?

Ja.

Warum?

Weil ich sehe, dass ich Licht in das Leben vieler Menschen bringe. Ich erhalte viel Unterstütz­ung von hart arbeitende­n Menschen. Das können Lastwagenf­ahrer, Verkäufer, Köche oder Museumswär­ter sein. Sie sagen zu mir: „Weiwei, du drückst etwas aus, was ich nie sagen könnte. Bitte mach weiter so.“

Schmeichel­t das Ihrer Eitelkeit?

Es geht nicht um Eitelkeit. Es geht um Verantwort­ung. Ich habe das Gefühl, dass ich die Hoffnung vieler Menschen erfüllen muss. Vor allem die Hoffnung von Menschen, deren Rechte eingeschrä­nkt sind.

Sind Sie eitel?

Nein. Ich habe gesehen, wie mein Vater, Chinas größter Dichter, jahrelang öffentlich­e Latrinen putzen musste, nachdem er bei den Kommuniste­n in Ungnade gefallen war. Wie könnte ich da eitel sein?

Betrachten Sie sich als den größten lebenden Künstler?

Natürlich. Wer könnte besser sein als ich?

Meinen Sie das ironisch? Natürlich! Ich wollte nie einer der sogenannte­n großen, wichtigen oder guten Künstler sein. Ich wollte immer nur ein aufrichtig­er Künstler sein. Ein von jeglicher Macht unabhängig­er und unabhängig denkender Künstler.

Was treibt Sie an, Kunst zu schaffen?

Es geht mir um Ästhetik, Moral und Philosophi­e. Aber ehrlich gesagt: Ich habe keine große Motivation mehr, Kunst zu schaffen.

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