Gerüstet für die nächste Katastrophe
London kauft beim Ulmer Löschfahrzeug-Bauer Magirus Europas höchste Drehleiter
ULM - Seit mehr als 100 Jahren setzt die Londoner Feuerwehr auf schwäbische Lösch-Expertise. Das erste Feuerwehrfahrzeug aus dem Hause Magirus, das in die englische Hauptstadt an der Themse geliefert wurde, nahm seinen Dienst bereits im Jahr 1905 auf. Nun flatterte der Ulmer Firma ein rekordverdächtiger Auftrag herein. Hintergrund ist der dramatische Brand des Grenfell Towers vor vier Jahren.
Die Bilder gingen live um die Welt. Ein Millionenpublikum verfolgte den Einsatz im Juni 2017, bei dem Rettungskräfte verzweifelt versuchten, das brennende Hochhaus im Londoner Stadtviertel North Kensington zu löschen. Und vor allem: die Bewohner des Grenfell Towers zu retten, die in den Sozialwohnungen auf den 24 Etagen lebten. Die bittere Bilanz des Unglücks, das landesweite Debatten nach sich zog: 72 Menschen kamen ums Leben. Die Eindrücke des rußgeschwärzten Gebäudes, das zusehends ein Raub der Flammen wurde, brannten sich ins englische Gedächtnis ein. Und der Einsatz sorgte dafür, dass die Löschtechnik-Pioniere von Magirus in Ulm zuletzt Extraschichten schoben.
Als direkte Konsequenz der Brandkatastrophe orderte die Londoner Feuerwehr in Ulm drei Drehleitern mit „erweiterter Höhe“, wie Hersteller Magirus mitteilte. Stolze 64 Meter reichen die Leitern in den Himmel, es seien damit die höchsten Drehleitern in Europa, sagte ein Sprecher des Ulmer Unternehmens.
Insgesamt hatte die „London Fire Brigade“15 Drehleitern bestellt, bei den übrigen zwölf handelt es sich um Standard-Gelenkdrehleitern mit einer Länge von 32 Metern. Damit, so Magirus, könne die Londoner Feuerwehr jetzt „bei allen Hochhauseinsätzen“noch flexibler agieren.
Wie sich bei Nachuntersuchungen des Brandes herausstellte, war nicht nur das Gebäude ziemlich schlecht präpariert, um sich einem wütenden Feuer so lange wie möglich widersetzen zu können. Auch die Londoner Feuerwehr, die „London
Fire Brigade“, sah Verbesserungsbedarf. Sie analysierte: Die beim Löscheinsatz eingesetzten Drehleitern waren nicht hoch genug.
Da kam man schnell auf Magirus, den langjährigen Partner aus Ulm. Unternehmensgründer Conrad Dietrich Magirus, gleichzeitig der erste Kommandant der Freiwilligen Ulmer Feuerwehr, gilt als Erfinder der Drehleiter. Seine erste „fahrbare Feuerleiter“– die „Ulmer Leiter“– war 14 Meter hoch und errang eine Goldmedaille bei der Weltausstellung 1873 in Wien.
Über den Kaufpreis der fahrbaren Leitern schweigt sich Magirus auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“
aus. Sie stecken voller Hightech: Sensoren warnen, wenn die Wetterbedingungen zu extrem sind, um die Leitern in ihrer voll ausgefahrenen Höhe sicher zu verwenden, außerdem verfügen sie über eine Kamera an der Spitze, die Videos des Brandes liefert.
Nachdem sich die Londoner Feuerwehrleute mit dem neuen Gerät bei Übungen vertraut gemacht haben, sind die 15 Drehleitern aus Ulm seit Kurzem im Einsatz auf der Insel. Die Chefin der Londoner Feuerwehr, die im Amt war, als der Grenfell Tower brannte, wird sich daran nicht mehr erfreuen können. Sie musste nach dem Einsatz ihren Hut nehmen.