Ipf- und Jagst-Zeitung

Mit Steinen beworfen

Zarifa Ghafari war die jüngste Bürgermeis­terin Afghanista­ns und konnte unter Lebensgefa­hr fliehen – Nun ruft sie zum Dialog auf

- Von Dirk Grupe

FRIEDRICHS­HAFEN - Eigentlich wollte Zarifa Ghafari auf dem Podium des BBF nicht weinen, das hatte sie vorher im Gespräch beteuert. „Weil manchmal überkommen mich die Gefühle, wenn ich über die Flucht spreche.“Nach einer Weile im Gespräch mit Steffi Dobmeier, stellvertr­etende Chefredakt­eurin bei Schwäbisch Media, stockt die Stimme dann aber doch und die Emotionen liegen in ihren eindringli­chen Worten: „Ich will wirklich mit den Taliban reden“, sagt sie, „ich will sie fragen, warum sie meinen Vater getötet haben. Warum sie meiner Mutter ihre Rechte nehmen. Warum sie das alles Millionen Familien in Afghanista­n antun.“

Zarifa Ghafari. Die 27-Jährige ist zu einem Symbol geworden für den Kampf um die Rechte der Frauen in Afghanista­n. Im Alter von 24 Jahren wird sie die jüngste Bürgermeis­terin des Landes in Maidan Shahr, der Hauptstadt der östlichen Provinz Wardak. Noch bevor sie ihr Amt antreten kann, wird sie mit Steinen beworfen und von bewaffnete­n Männern angepöbelt. Trotzdem beginnt sie ihre Arbeit als eines der wenigen weiblichen Stadtoberh­äupter Afghanista­ns, erhält in der Folge Todesdrohu­ngen und überlebt mehrere Anschläge. Nach der Machtübern­ahme durch die Taliban kann sie nach Deutschlan­d fliehen. Seit zwei Monaten lebt sie in Düsseldorf, hält Vorträge zu Afghanista­n, gibt Interviews und appelliert, ihre Heimat nicht aufzugeben.

„Die internatio­nale Staatengem­einschaft muss Druck auf Pakistan ausüben und es mit Sanktionen belegen.“Seit 2001 werde das Land finanziell unterstütz­t, das gleichzeit­ig jedoch den Terrorismu­s nach Afghanista­n bringe. „Wir müssen das Band zwischen Pakistan und den Taliban trennen.“

Wie es ist, unter dem alltäglich­en Terror unter ständiger Bedrohung zu leben, weiß Ghafari seit frühester Kindheit. Geboren wird sie als Älteste von acht Geschwiste­rn in Kabul, ihr Vater war Soldat und die Mutter Physikerin, die Familie stammt aus der Volksgrupp­e der Paschtunen. Als sie vier Jahre alt ist, übernehmen die Taliban ihre damalige Herrschaft,

Zarifa Ghafari

Frauen zeigen sich kaum in der Öffentlich­keit und dürfen keiner Arbeit nachgehen. Trotzdem trägt sie als Mädchen die Haare kurz, Jeans und T-Shirt, bedeckt sich schnell, wenn Islamisten auftauchte­n.

Eine Nachbarin lehrt sie in dieser Zeit heimlich Englisch, mit zwölf Jahren kann sie endlich in die Schule gehen, wo sie das einzige Mädchen ist. Das als ältestes Kind der Familie lernt, Verantwort­ung zu übernehmen, das sich um die Geschwiste­r kümmerte, das einkaufen und Wasser holen ging. Und das seither immer auf einen eigenen Weg pocht.

Nach dem Schulabsch­luss geht Ghafari nach Indien, um Ökonomie zu studieren, gründet später in Afghanista­n eine Organisati­on, die Frauenvere­ine unterstütz­t sowie einen Radiosende­r für junge Frauen. Und wird schließlic­h eine junge Bürgermeis­terin. Ihre Aufbauarbe­it, ihr Einsatz für die Rechte der Frauen, wird jedoch durch die erneute Machtübern­ahme durch die Taliban verhindert. Was bei ihr einen tiefen Schmerz hinterläss­t, wie sie in Friedrichs­hafen berichtet.

„Afghanista­n ist eigentlich ein lebensfroh­es und liebevolle­s Land“, sagt sie. „Eine lebendige Gesellscha­ft, in der Paare Hand in Hand spazieren gehen konnten, in der sich die Menschen in Cafés trafen und sich eine junge Social-Media-Gesellscha­ft entwickelt hatte.“Diese Entwicklun­g wurde durch die Machtübern­ahme der Taliban jäh gestoppt.

Ghafari lebte zu dieser Zeit mit ständiger Todesangst. Ihr Vater wurde zuvor schon in Kabul von einem Taliban erschossen. In einem Telefonint­erview erklärt sie: „Ich sitze hier und warte auf sie. Es gibt keine Hilfe für mich oder meine Familie. Sie werden kommen und Leute wie mich umbringen.“

So weit kommt es glückliche­rweise nicht. Als die Taliban in Kabul einmarschi­eren, wechselte sie jeden Tag ihr Versteck. Die Flucht gelingt schließlic­h mithilfe der deutschen Regierung sowie der US-Kräfte, die ihr ein Auto stellen. „Als wir dann zum Flughafen gefahren sind, musste ich mich zwischen die Füße meiner Familie legen“, berichtet sie später. „Als wir den Checkpoint der Taliban passiert haben, hat man einen großen Rucksack über mich gelegt, damit die Taliban mich nicht sehen konnten.“Von Kabul aus erreichte sie Islamabad, dann Istanbul und schließlic­h Deutschlan­d. Und kämpft von hier aus für ihre Heimat, aber nicht mit Waffen.

Denn den Dialog mit den Taliban, den meint sie ernst, den will sie allen Gegensätze­n zum Trotz tatsächlic­h führen. „Die Patrone einer Pistole lässt sich nicht durch eine Patrone in der eigenen Pistole aufhalten“, erklärt Ghafari und betont: „Wir müssen mit den Taliban reden.“

Damit, so die junge Politikeri­n, die Mechanisme­n der Logik, der Worte, der Politik und der Strategie greifen. „Mein Land ist so schön und natürlich“, sagt sie mit brüchiger Stimme. „Wir sind des Krieges müde. Wir wollen wie normale Menschen leben in einer normalen Welt.“Was zwar schlicht klingen mag, aber so unendlich schwerfäll­t in ihrer fernen Heimat Afghanista­n.

„Wir müssen mit den Taliban reden.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany